Es ist die bislang umfassendste Studie über die Schweizer Rotlicht-Szene: Im Auftrag des Bundesamtes für Polizei (fedpol) haben die Kriminologen Lorenz Biberstein und Martin Killias insgesamt 543 Schweizer Rotlicht-Betriebe um Auskunft gebeten. 99 haben geantwortet – und den Autoren so einen einen nie dagewesenen Einblick in den heisigen Sexarbeitsmarkt gegeben.
Die wichtigste Erkenntnis vorneweg: Die Frauen treten die Arbeit im Bordell hierzulande in der Regel freiwillig an, sagt Killias in einem Interview mit der «Nordwestschweiz». In der Schweiz würden Rotlicht-Etablissements mit Anfragen von Frauen überschwemmt, die hier ihre Dienste anbieten wollen.
Nach Angaben der Puff-Betreiber erhalten Kleinbetriebe wöchentlich bis zu fünf Bewerbungen. Bei den Grossbetrieben sind es bis zu zehn. «Die hohe Zahl von Bewerbungen spricht nicht dafür, dass die Sexarbeiterinnen durch viel Druck oder Täuschung dazu gebracht werden müssen, in diesem Sektor zu arbeiten», sagt Killias weiter. Zwangsprostituierte gebe es primär dort, wo die Nachfrage nach Frauen viel grösser ist als das Angebot. Das sei etwa in den besetzten Ländern oft der Fall gewesen.
Grossteil der Bordelle von Frauen geführt
Identifizieren konnten die Studienautoren in der Schweiz insgesamt 902 Salons, Saunaclubs, Kontaktbars oder Escortservices. Die meisten Bordelle finden sich in den Kantonen Zürich (183), Basel-Stadt (124) und Genf (115). Gemäss Studie gibt es nur in den Kantonen Jura, Solothurn, Zug, Obwalden, Nidwalden, Uri und Appenzell Innerrhoden keine derartigen Einrichtungen.
Überraschend: Mehr als die Hälfte der Etablissements werden von Frauen geführt, bei den Kleinbetrieben sind es gar drei Viertel. Grossbetriebe befinden sich hingegen noch immer mehrheitlich in Männerhänden.
Laut Hochrechnungen der Autoren, die sich auf die Angaben des Branchenregisters im Internet stützen, beschäftigen Schweizer Bordelle täglich rund 4700 Sexarbeiterinen. Davon befinden sich allein im Kanton Zürich 1452.
Die meisten Prostituierten stammen aus der Schweiz (14,4 Prozent), Rumänien (13,5), Ungarn (12,1) und Deutschland (11,8). Mehr als die Hälfte der Frauen steigen ins Sexgewerbe ein, weil sie ihre Lebensumstände verbessern wollen sowie schneller und mehr Geld verdienen können als als in einem anderen Job.
125'000 regelmässige Bordell-Besucher
Im Schnitt verdient eine Prostituierte ein Brutto-Jahreseinkommen von 125'000 Franken. Der Nettoverdienst ist jedoch erheblich tiefer. Ein Teil der Erträge geht an die Bordell-Betreiber. Dazu kommen Ausgaben für die An- und Abreise sowie die Unterkunft zum Übernachten.
Sex bieten die Prostituierten bereits für unter 100 Franken an – sofern das Vergnügen nicht länger als eine halbe Stunde dauert. Dienste ab 30 Minuten bis eine Stunde kosten mehr als 200 Franken. Gutverdienende Prostituierte erzielen an einem Tag so regelmässig über 1000 Franken.
Gemäss den Befragungen suchen täglich zwischen 6200 und 18'700 Männer Bordelle auf. Die Autoren schätzen, dass rund 125'000 Männer regelmässig ein Rotlicht-Etablissements frequentieren. Rund die Hälfte der Kunden dürften im Alter zwischen 40 und 60 Jahren sein.
Grösste Gewalt droht auf dem Strassenstrich
Die wohl positivste Entwicklung hat sich für Martin Killias in den letzten Jahren im Bezug auf die Strassenstrichs zugetragen. Denn: Die auf der Strasse anschaffenden Frauen sind weit mehr Gewalt ausgeliefert als «Indoor»-Sexarbeiterinnen – sei es durch Zuhälter oder durch Freier.
Einen Strassenstrich gibt es in neun Kantonen, darunter einen in Olten SO sowie weitere in den Städten Basel und Zürich. Von den insgesamt 4700 Sexarbeiterinen schaffen heute nur noch 250 Frauen auf der Strasse.
«Gewalt von Freiern in Bordellen ist im Gegensatz zum Strassenstrich ein seltenes Randphänomen», sagt Killias. «Es ist ein grosser Erfolg, dass bei uns weniger als fünf Prozent der Sexarbeiterinnen auf der Strasse abeiten. In Frankreich und in Italien sind es wohl die meisten.» (gr)