Private Altenpflege
Das Millionengeschäft mit Pflegerinnen aus Osteuropa

Tausende Migrantinnen arbeiten in der Schweiz in der privaten Pflege. Obwohl der Bund von den skandalösen Arbeitsbedingungen weiss, gibt es bis heute keine verbindlichen Regeln.
Publiziert: 19.03.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 23:24 Uhr
Die Zahl der Frauen in privaten Haushalten nimmt laut Seco laufend zu. Bożena Domańska (47) arbeitet bereits seit 25 Jahren in der Schweiz.
Foto: Siggi Bucher
Cyrill Pinto

Bożena Domańska (47) arbeitet seit 25 Jahren in der Altenpflege, meist in 24-Stunden-Einsätzen. Sie lebt beim Patienten, den sie pflegt, ist rund um die Uhr für ihn da. «Die Einsamkeit ist das Schlimmste», sagt sie. Mit ihrer Familie stand sie jahrelang nur per Telefon in Kontakt, auch am Ort ihres Einsatzes sind soziale Kontakte nicht möglich. Denn: Man kümmert sich rund um die Uhr um den Patienten. «Meine Eltern sind in der Zwischenzeit gestorben, mein Mann hat mich verlassen, meine Tochter entfremdete sich», berichtet Domańska. Gleichzeitig war die Bezahlung tief, sehr tief. Für manche ihrer Einsätze verdiente sie bloss 2000 Franken pro Monat. «Ich wurde jahrelang ausgebeutet», sagt Domańska. Viele ihrer Kolleginnen hielten die Isolation nicht aus. Sie kennt sogar Kolleginnen, die sich das Leben nahmen.

Care-Arbeit ist nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt: Wer in der Schweiz privat eine Haushaltshilfe beschäftigt, kann dies nach eigenem Ermessen tun, kontrolliert werden diese Bedingungen nicht. Die Kantone kennen zwar minimalste Normalarbeitsverträge, welche die Arbeitszeit regeln. Doch Arbeitgeber können auch schlechtere Bedingungen aushandeln. Missbrauch ist damit Tür und Tor geöffnet. Betroffen sind laut Schätzungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) Zehntausende. Sie kommen aus Ungarn, der Slowakei oder aus Polen hierher – so wie Bożena Domańska.

Private Pflege boomt

Laut aktuellsten Zahlen wandern pro Jahr zwischen 3000 und 3500 Hauswirtschaftsangestellte in die Schweiz ein. Dabei hat sich seit 2005 der Anteil der Personen aus EU-Staaten in Osteuropa, also Ländern wie Polen, Ungarn oder der Slowakei mehr als verdoppelt, die Zahl der Kurzaufenthalterinnen hat sich seither sogar vervierfacht.

Care-Arbeiterinnen wohnen meist bei den Familien, sind 24 Stunden am Tag einsatzbereit, sieben Tage die Woche.

Oft werden die Frauen auf Stellenplattformen im Internet rekrutiert. Schweizer Firmen sprechen dort Frauen an und vermitteln sie dann an Familien, die ihre Angehörigen zu Hause gepflegt haben möchten. Die Frauen wohnen meist bei den Familien, sind 24 Stunden am Tag einsatzbereit, sieben Tage die Woche. Stirbt der Patient, kehren die Frauen in ihre Heimat zurück – bis der nächste Einsatz ruft. Laut Seco sind in der Schweiz zurzeit 60 Betriebe gemeldet, die ausschliesslich den lukrativen Markt der Altenpflege bearbeiten. Vermittler kassieren von den Familien für eine 24-Stunden-Betreuung zwischen 4500 und 13'500 Franken im Monat. Gleichzeitig sind dem Seco Fälle bekannt, wo weniger als 1000 Franken Lohn pro Monat bezahlt wurde. Eine Goldgrube für die Vermittler.

Behörden verschleppen eine Regelung

Für die Zürcher Nationalrätin Barbara Schmid-Federer (51, CVP) ein unhaltbarer Zustand. Sie hat deshalb im Parlament einen Vorstoss zur Verbesserung der Situation eingereicht. Inzwischen wurde von der Bundesverwaltung ein 30-seitiger Bericht erstellt, der mehrere Lösungsvorschläge diskutiert. Konkret umgesetzt wurde bisher nichts. «Ich habe stark den Eindruck, dass der Bund eine Lösung einfach verschleppt», sagt Schmid. Dabei sei klar: «Diese Frauen werden als günstige Arbeitskräfte missbraucht – deshalb braucht es minimalste gesetzliche Regelungen.» 

Donar Barrelet (36) von Pflegehilfe Schweiz, einer grossen Vermittlerin von Pflegepersonal in der Schweiz weiss: «Es gibt viele schwarze Schafe in der Branche.» Denn ein 24-Stunden-Betreuungsdienst mit nur einer Person sei eigentlich gar nicht möglich. Sein Unternehmen setze jeweils mehrere Personen zur Pflege ein und bezahle auch Minimallöhne.

Bożena Domańska lebt heute in ihrer eigenen Wohnung in Basel. Heute akzeptiert sie keine sklavenähnlichen Aufträge mehr: «Ein Mindestlohn und anderthalb Tage Freizeit pro Woche sind das Minimum», sagt Domańska, die zusammen mit Kolleginnen in Basel die Gruppe «Respekt» zum Kampf für minimalste Standards gegründet hat. «Doch», sagt sie, «um die Frauen in der ganzen Schweiz vor Ausbeutung zu schützen, braucht es endlich strengere Regeln.»

Sklavenarbeit für 2000 Fr.

Selbst wenn Arbeitsvermittler einen guten Lohn versprechen, erhalten die Frauen am Ende viel weniger ausbezahlt. So wie die Polin Anna P. (49). Sie kam im Sommer 2012 über eine Schweizer Vermittlungsfirma für einen Arbeitseinsatz in die Schweiz.

«Ich arbeitete schwarz»

«Die Firma war von Anfang an komisch», berichtet sie. Zuerst habe ihr Chef sie gar nicht korrekt angemeldet. «Ich arbeitete schwarz», sagt P. Erst als sie interveniert, werden ihr die Sozialversicherungsbeiträge verrechnet.

Die Lohnabrechnungen, die SonntagsBlick vorliegen, zeigen aber: Obwohl die Frau 24 Stunden und sieben Tage die Woche im Einsatz war, erhielt sie netto bloss rund 2000 Franken pro Monat ausbezahlt.

«Ich habe mich dann bei den Behörden informiert»

«Ich habe mich dann bei den Behörden informiert und herausgefunden, dass ich mehr Geld zugut hätte.» Als P. von ihrem Chef ein paar Hundert Franken mehr Lohn verlangt, beendet er das Arbeitsverhältnis. Das war im Frühling 2014.

«Ich wollte nur etwas mehr Geld für die Einsätze in der Nacht, denn die Patientin musste oft zur Toilette begleitet werden.»

Inzwischen, so weiss P., hat das Unternehmen einfach eine andere Frau aus Polen beschäftigt. Sie selbst versucht nun einen Teil des Lohnes auf dem Rechtsweg zu erstreiten.

Anna P. (49) ist Pflegefachfrau aus Polen.
Anna P. (49) ist Pflegefachfrau aus Polen.
Sabine Wunderlin

Selbst wenn Arbeitsvermittler einen guten Lohn versprechen, erhalten die Frauen am Ende viel weniger ausbezahlt. So wie die Polin Anna P. (49). Sie kam im Sommer 2012 über eine Schweizer Vermittlungsfirma für einen Arbeitseinsatz in die Schweiz.

«Ich arbeitete schwarz»

«Die Firma war von Anfang an komisch», berichtet sie. Zuerst habe ihr Chef sie gar nicht korrekt angemeldet. «Ich arbeitete schwarz», sagt P. Erst als sie interveniert, werden ihr die Sozialversicherungsbeiträge verrechnet.

Die Lohnabrechnungen, die SonntagsBlick vorliegen, zeigen aber: Obwohl die Frau 24 Stunden und sieben Tage die Woche im Einsatz war, erhielt sie netto bloss rund 2000 Franken pro Monat ausbezahlt.

«Ich habe mich dann bei den Behörden informiert»

«Ich habe mich dann bei den Behörden informiert und herausgefunden, dass ich mehr Geld zugut hätte.» Als P. von ihrem Chef ein paar Hundert Franken mehr Lohn verlangt, beendet er das Arbeitsverhältnis. Das war im Frühling 2014.

«Ich wollte nur etwas mehr Geld für die Einsätze in der Nacht, denn die Patientin musste oft zur Toilette begleitet werden.»

Inzwischen, so weiss P., hat das Unternehmen einfach eine andere Frau aus Polen beschäftigt. Sie selbst versucht nun einen Teil des Lohnes auf dem Rechtsweg zu erstreiten.

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