Es war eine kleine Geschwulst im Bauch, unterhalb der linken Rippen. Bei einer Routineuntersuchung fiel sie auf. Hans-Ruedi Benz, Geschäftsführer der Fleischtrocknerei Churwalden, die in Landquart GR die berühmten Minipic herstellt, war gerade 50 Jahre alt, heute ist er 59. Nach eingehender Kontrolle erhielt er damals die Diagnose: neuroendokrines Karzinom der Bauchspeicheldrüse – Krebs.
Zwar wurde der Tumor erfolgreich entfernt, doch er hatte bereits gestreut, auch die Leber war befallen. Bestrahlung und Chemotherapien folgten. Schritt für Schritt ging Benz mit seinem Onkologen, Roger von Moos (52) vom Kantonsspital Graubünden, jedes auftretende Problem an.
Eine Behandlung kostet 3000 Franken
Wie im letzten Januar. Da blähte sich sein Bauch plötzlich auf. Metastasen wuchsen auf dem Bauchfell, Wasser sammelte sich im Unterleib. Professor von Moos empfahl das Krebsmedikament Avastin von Roche (siehe Box).
Avastin ist der Handelsname eines Antikörper-Präparats, das die Bildung neuer Blutgefässe hemmt, also auch die von Metastasen. Das Medikament des Schweizer Herstellers Roche ist für mehrere Krebsarten zugelassen. Nach Versicherungsangaben kostet die Behandlung mit diesem Mittel durchschnittlich 13’227 Franken pro Patient und Jahr – Tendenz steigend.
Avastin ist der Handelsname eines Antikörper-Präparats, das die Bildung neuer Blutgefässe hemmt, also auch die von Metastasen. Das Medikament des Schweizer Herstellers Roche ist für mehrere Krebsarten zugelassen. Nach Versicherungsangaben kostet die Behandlung mit diesem Mittel durchschnittlich 13’227 Franken pro Patient und Jahr – Tendenz steigend.
Knapp ein Jahr lang versuchte er die Antikörpertherapie, alle drei Wochen eine Behandlung à 3000 Franken. Die Nebenwirkungen waren äusserst schmerzhaft, doch das Mittel half: Die Metastasen gingen zurück, das Wasser im Bauchraum verschwand nahezu. Der Haken: Das Medikament ist für diese Therapie nicht vorgesehen, die Kosten werden nicht von der Krankenkasse übernommen. Benz zahlte selbst.
Teurere Krebsmedikamente belasten zunehmend das Schweizer Gesundheitssystem. Seit 2013 stiegen deren Kosten um 28 Prozent. Krankenversicherer lehnen deshalb regelmässig Therapien ab, die in anderen Ländern Standard sind.
Fadenscheinige Argumente der Versicherer
Onkologen, mit denen SonntagsBlick sprach, machen häufig die Erfahrung, dass Versicherer eine Kostenübernahme mit fadenscheinigen Argumenten ablehnen. Roger von Moos, der Arzt von Hans-Ruedi Benz: «Es gibt grosse Unterschiede von Kasse zu Kasse, aber sogar innerhalb der Kassen selbst» – je nachdem, wer das Gesuch gerade bearbeite.
Wenn sich Mediziner für ihre Patienten und eine Kostengutsprache einsetzen, fresse das viele Arbeitsstunden. Zwar können moderne Antikörper- und Immuntherapien das Leben von Krebspatienten um Monate oder Jahre verlängern. Doch sie sind auch sehr teuer: Der neuste Kassenschlager im Sortiment des Schweizer Herstellers Roche heisst Perjeta. In Kombination mit einem zweiten Mittel kostet es pro Jahr rund 100’000 Franken.
Pharmafirmen begründen die hohen Preise mit dem Nutzen für die Gesellschaft – aber auch mit hohen Kosten für Forschung und Entwicklung. Eine neue Studie aus den USA, die SonntagsBlick vorliegt, zeigt jedoch: Der Aufwand für Forschung und Entwicklung ist gar nicht so hoch wie bisher angenommen.
Einnahmen übersteigen Forschungsaufwand bei weitem
Die Untersuchung lüftet erstmals ein bisher gut gehütetes Geheimnis der Pharmabranche: Bei den untersuchten Onkologika stand ein durchschnittlicher Forschungsaufwand von 648 Millionen mehr als doppelt so hohen Einnahmen gegenüber – 1,6 Milliarden Franken. Bei einzelnen Krebsmitteln, die auch in der Schweiz zugelassen sind, übersteigt die Marge 7000 Prozent.
Darin sei die Grundlagenforschung für neue Präparate nicht enthalten, entgegnen Pharmafirmen. Der langjährige Chefarzt Onkologie und Präsident der Krebsforschung Schweiz, Thomas Cerny (66), weiss: «Pharmafirmen betreiben selbst kaum noch kostenintensive Grundlagenforschung. Stattdessen kaufen sie bei Universitäten neue, erfolgversprechende Patente ein» (siehe Interview, unten).
Der Gesundheitsökonom Guido Klaus (47), Leiter Ökonomie und Politik beim Krankenversicherer Helsana, kritisiert die Intransparenz der Pharmafirmen: Sie müssten offenlegen, wie teuer die Forschung für ein neues Präparat war. Sonst drehe sich die Preisspirale immer weiter.
Einen anderen Lösungsansatz präsentierte diese Woche die NGO Public Eye: Sie fordert den Einsatz von Zwangslizenzen, also die Aushebelung des Patentrechts durch den Staat. So könnten die teuren Onkologika günstiger hergestellt werden.
Branchenverband pocht auf Patentschutz
Der Branchenverband Interpharma lehnt diese «konfrontative Forderung» ab, wie Sprecherin Sara Käch erklärt. Der Wohlstand der Schweiz beruhe zu einem Grossteil auf Innovation, und die müsse durch Patente geschützt werden.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat inzwischen begonnen, bereits zugelassene Medikamente zu überprüfen, und verfügte 2017 Preissenkungen im Wert von 190 Millionen Franken. Fachleute kritisieren, das genüge nicht.
Inzwischen musste Hans-Ruedi Benz seinen Beruf aufgeben und bekam eine Rente zugesprochen. Es gelang ihm nicht mehr, sich längere Zeit zu konzentrieren. Er tat, was er schon immer wollte: «Ich kaufte eine Ferienwohnung im Tessin.» Zusammen mit seiner Frau verbringt er nun viel Zeit in Ascona TI.
Weil sich nur die wenigsten leisten könnten, wie er Medikamente aus der eigenen Tasche zu finanzieren, fordert Benz dringend Korrekturen am System. Sonst werde die Zweiklassenmedizin, die in der Schweiz bereits heute Realität sei, noch ausgeprägter.
SonntagsBlick: Herr Cerny, spezielle Krebsmedikamente haben horrende Preise – und werden noch teurer.
Thomas Cerny: Meist sind diese Preise zehn- bis 20-mal höher als jene vergleichbarer Präparate vor 20 Jahren. Das ist reine Gewinnmaximierung. In den USA orientiert man sich nicht primär am Aufwand für Forschung und Herstellung oder an der effektiven Marktgrösse. Länder wie die Schweiz müssen dann nachziehen. Als klinischer Forscher weiss ich, wie teuer die Entwicklung neuer Medikamente ist: Die Preise sind völlig davon entkoppelt.
Neue Medikamente geben Krebspatienten eine erhöhte Lebenserwartung, manche werden sogar völlig geheilt.
Das liegt auch an einer früheren und präziseren Diagnostik. Oft entfalten die neuen Medikamente ihre Wirkung erst in Kombination mit bestehenden Therapien. Und da wir immer älter werden, gibt es auch mehr Krebskranke: Jeder zweite Mann wird in seinem Leben die Diagnose Krebs erhalten.
Indien bricht das Patentrecht und stellt solche Medikamente viel günstiger selbst her. Eine Möglichkeit für die Schweiz?
Nicht nur in der Dritten Welt können sich Patienten keine teuren Behandlungen leisten. Prämien, Franchisen und Selbstbehalte übersteigen auch in der Schweiz die Möglichkeiten vieler. Heilung von lebensbedrohlichen Krankheiten nur für Reiche? Das verstösst gegen unsere Verfassung. Die Politik muss hier dringend intervenieren.
Das Bundesamt für Gesundheit verfügte wiederholt Preissenkungen. Genügt das?
Die Richtung stimmt, doch der Erfolg ist sehr bescheiden. Die meisten Preise wurden nur gering korrigiert. Der Druck der Pharmaindustrie ist zu hoch. Interview: Cyrill Pinto
SonntagsBlick: Herr Cerny, spezielle Krebsmedikamente haben horrende Preise – und werden noch teurer.
Thomas Cerny: Meist sind diese Preise zehn- bis 20-mal höher als jene vergleichbarer Präparate vor 20 Jahren. Das ist reine Gewinnmaximierung. In den USA orientiert man sich nicht primär am Aufwand für Forschung und Herstellung oder an der effektiven Marktgrösse. Länder wie die Schweiz müssen dann nachziehen. Als klinischer Forscher weiss ich, wie teuer die Entwicklung neuer Medikamente ist: Die Preise sind völlig davon entkoppelt.
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