Warum zu viel Cybersex schädlich ist
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Pornhub-Boom dank Lockdown
Warum zu viel Cybersex schädlich ist

Um sich während der Corona-Tristesse abzulenken, flüchten viele Menschen ins Internet. Vor allem Männer besuchen häufig Pornoseiten. Wenn dies zu oft passiert, drohen negative Konsequenzen.
Publiziert: 27.07.2021 um 01:22 Uhr
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Aktualisiert: 28.07.2021 um 16:10 Uhr
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Cybersex hat wegen Corona zugenommen. Performance «Significant Other» von Pedro Moreira.
Foto: sara navarro
Fabian Vogt

Schon vor der Pandemie war die Lust auf Sex einer der Hauptgründe, warum Menschen ins Internet gingen. Je nach Land und Studie konsumieren 46 bis 74 Prozent aller Männer respektive 16 bis 41 Prozent aller Frauen Internetpornografie.

Sehr viele davon landen auf Pornhub. 42 Milliarden Visits verzeichnete das Portal im Jahr 2019 – im Schnitt besuchte jeder Erdenbürger die Webseite mehr als fünf Mal. Ein «juicy year» nannten dies die Verantwortlichen. 2020 dürfte noch saftiger geworden sein.

Lockdown führte zu Pornhub-Boom

Als im März des vergangenen Jahres vielerorts Lockdowns verhängt wurden, wurde die Webseite weltweit rund 20 Prozent häufiger angesurft als vor Corona.

Schweizer Daten für diese Periode will Pornhub nicht bekannt geben. Aber auch hier dürfte häufiger geklickt worden sein. 2018 lag die Schweiz in einer Rangliste der Länder, deren Bewohner am häufigsten auf Pornhub sind, auf Rang 31. Deutlich weiter vorne, als das Land in Einwohnerstatistiken platziert ist. Einige Nutzer haben während der Pandemie ihren Konsum allerdings übertrieben.

«Die soziale Kontrolle fehlt»

Renanto Poespodihardjo (59) ist Leitender Psychologe im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel und sagt: «Die Nachfrage nach Behandlung und Beratung hat sich während der Epidemie vermehrt.» Vor Corona hätten seine Patienten oft in jungen Jahren mit dem Pornokonsum angefangen und diesen so stark gesteigert, bis er ihr Privatleben aus den Fugen brachte. Seither kämen Patienten zu ihm – fast ausschliesslich Männer, die zwar schon vor Pandemie Pornos schauten, dies aber im Griff hatten. «Doch nun, da sie nicht mehr ins Büro müssen und die soziale Kontrolle fehlt, hat sich das geändert.»

Die Sucht sei dabei sehr unterschiedlich ausgeprägt. «Manche konsumieren zwei, drei Stunden pro Tag Pornos, andere sechs oder sieben.» Gemeinsam sei aber das Problem, dass das Verweilen auf einschlägigen Internetseiten zur sozialen Isolation führe. Freundschaften und Partnerin würden vernachlässigt. Wer in eine solche Situation kommt, sollte sich fragen, ob er nicht vielleicht psychische Probleme hat.

Frust, Langeweile, Stress im Büro

«Übermässiger Pornokonsum ist einer der Haupttreiber für Sexsucht», sagt Andreas Hill (59). Er ist Forensischer Psychiater an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, niedergelassener Psychiater und Psychotherapeut und Privatdozent am Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie des Universitätsklinikums in Hamburg (D). Fast nur Männer würden wegen Sexsucht zu ihm kommen. «Zwar gibt es auch einige Frauen in Behandlung, aber meistens, weil sie häufig den Partner wechseln und darüber unglücklich sind.»

Bei den Männern, die Hilfe suchen, sei es so, dass sie Pornos schauen, um etwas zu kompensieren. Frust, gedrückte Stimmung, Langeweile, Stress im Büro. «Manche schauen am Arbeitsplatz, andere melden sich krank, weil sie die ganze Nacht Pornos konsumierten», sagt Hill. Auch Webcam-Sex sei sehr beliebt.

Manche wollen das Gesehene Realität werden lassen

In einigen Fällen sind die negativen Folgen noch gravierender. «Es gibt einige Männer, die den Wunsch verspüren, das Sexualverhalten, das sie in pornografischen Filmen sehen, in der Wirklichkeit auszuprobieren. Darunter kann auch Sexualverhalten sein, das übergriffig und möglicherweise strafbar ist», sagt Hill. Anfällig seien vor allem Personen, die andere Risikofaktoren für sexuelle Gewalt haben. Die beispielsweise antisozial oder impulsiv seien. Sie hätten dann Mühe, zwischen Filmen und Realität zu unterscheiden und würden die Bedürfnisse des Partners nicht mehr berücksichtigen.

Er relativiert aber auch: Hätten Pornos gesamtgesellschaftlich einen massiven Einfluss auf sexuelle Gewalt, würde man auch einen deutlichen Anstieg sexueller Gewaltdelikte erwarten. Dies sei in den letzten Jahrzehnten aber nicht zu beobachten. So sei es in den letzten 20 Jahren trotz einer Zunahme von Kinderpornografie-Delikten sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz nicht zu einer Zunahme von Hands-on-Sexualdelikten an Kindern gekommen.

Nicht mehr Missbrauch an Kindern feststellbar

Renanto Poespodihardjo sagt, Internetpornografie sei aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Es sei darum wichtig, dass man endlich damit beginne, sich damit auseinanderzusetzen: «Die Aufklärung von früher, die sich allein mit der sexuellen Aktivität auseinandersetzt, genügt nicht mehr.» Heute würden viele ihre ersten sexuellen Erlebnisse in der digitalen Welt machen. Man müsse sich darum vermehrt mit der eigenen Intimität auseinandersetzen.

Er wünscht sich eine Gesellschaft, in der «offen und vor allem wertfrei über sämtliche Aspekte der Sexualität gesprochen werden kann – da gehört die Internetpornografie dazu.»

Ein Pornosüchtiger erzählt

Menschen zu finden, die über ihre Sexsucht sprechen möchten, ist schwierig. Zu gross die Scham. Zu stigmatisiert das Thema. Eine Ausnahme ist Florian Winter (53). Er hat über seine Problematik einen Comic veröffentlicht. Sein richtiger Name ist das nicht, den will er auch nicht in der Zeitung lesen.

Zuerst kamen die Fantasien. Bereits mit neun Jahren hatte er Erektionen, erzählt Winter der «FAZ». Zurückzuführen auf Hormonspritzen, die er wegen einer Hodenfehlstellung bekam.

Als Bub klaute der gelernte Werbetexter die «Playboy»-Heftchen des Grossvaters. Kaum volljährig gab es Pornografie aus dem Sex-Shop. Als auch DVDs nicht mehr genügten, blieb das Bordell. «Das war für mich immer der totale Super-GAU», sagt er der «FAZ». Und: «Sex war mir wichtiger als andere Menschen.» Seine Schuldgefühle wurden grösser, die Scham auch. Er behielt sein Leid für sich, geriet immer tiefer in den Abwärtsstrudel.

«Lücken für Pornografie zu finden, bestimmte meinen Alltag. Dauernd war die Frage im Kopf: Wann habe ich wieder Zeit, mir diese Bilder anzuschauen?», erzählt er «Watson».

Unterdessen geht Florian Winter offen mit seiner Sucht um, hat der Freundin («das schwierigste Gespräch meines Lebens») und älteren Tochter («sie nahm es cool») davon erzählt. Auch zu Therapeuten ging es oft, als «seine Rettung» bezeichnet er aber Selbsthilfegruppen. Nun also der Comic. Ein Abschluss ist das für Winter allerdings nicht, sondern nur ein weiterer Schritt in der Suchtbewältigung. Ein anderer sind Regeln, die er sich aufgestellt hat. Frauen anschauen ja, aber nur drei Sekunden. Pornos sind tabu. Sex mit Partnerin ist okay, aber nur, wenn es aus reiner Lust und nicht aus Sucht passiert.

Sein letzter Rückfall sei Jahre her, sagt Winter. Trotzdem sei er noch immer auf dem Weg der Genesung.

Menschen zu finden, die über ihre Sexsucht sprechen möchten, ist schwierig. Zu gross die Scham. Zu stigmatisiert das Thema. Eine Ausnahme ist Florian Winter (53). Er hat über seine Problematik einen Comic veröffentlicht. Sein richtiger Name ist das nicht, den will er auch nicht in der Zeitung lesen.

Zuerst kamen die Fantasien. Bereits mit neun Jahren hatte er Erektionen, erzählt Winter der «FAZ». Zurückzuführen auf Hormonspritzen, die er wegen einer Hodenfehlstellung bekam.

Als Bub klaute der gelernte Werbetexter die «Playboy»-Heftchen des Grossvaters. Kaum volljährig gab es Pornografie aus dem Sex-Shop. Als auch DVDs nicht mehr genügten, blieb das Bordell. «Das war für mich immer der totale Super-GAU», sagt er der «FAZ». Und: «Sex war mir wichtiger als andere Menschen.» Seine Schuldgefühle wurden grösser, die Scham auch. Er behielt sein Leid für sich, geriet immer tiefer in den Abwärtsstrudel.

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