Thomas W.* (53) ist Polizist aus Leidenschaft. Seine Kollegen kennen ihn als gewissenhaft und pflichtbewusst. Doch seit dem 30. Oktober ist sein Berufsverständnis erschüttert. Da bekam er Post von der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft. «Anklageschrift», prangt in grossen Lettern auf dem Papier. W. habe sich «mehrfacher einfacher, mehrfacher grober und mehrfacher qualifizierter grober Verletzung von Verkehrsregeln» schuldig gemacht.
Ihm droht eine Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr.
Der Polizist ist nicht etwa angeklagt, weil er im Privatleben ein Verkehrsrowdy wäre – zum Verhängnis wurde dem Polizisten, dass er seinen Job machte. Und zwar mit vollem Einsatz.
Die Anklage geht auf einen Vorfall am Nachmittag des 7. August 2014 zurück. Thomas W. ist mit einem zivilen Polizeifahrzeug im Raum Muttenz, Bottmingen, Aesch unterwegs, als ihm ein Motorradlenker durch aggressive Fahrweise auffällt. Zusätzlich alarmiert ist W., weil das Kennzeichen beim internationalen Fahndungsdienst Ripol ausgeschrieben ist.
Er reagiert prompt, schaltet Blaulicht und Martinshorn ein und versucht, den Lenker anzuhalten. Doch der beschleunigt und fährt davon. Der Polizist nimmt die Verfolgung auf. Was danach folgt, ist in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft im Detail festgehalten.
Insgesamt muss sich W. für 15 Delikte verantworten. So habe er innerorts die Höchtsgeschwindigkeit von 50 km/h mehrfach deutlich überschritten, einmal sei er über die Sicherheitslinie gefahren und habe das Rotlicht missachtet.
Höhepunkt des Vorwurfskatalogs: Polizist W. habe zum verfolgten Motorrad «einen unzureichenden Abstand von sechs bis neun Metern eingehalten, womit der flüchtende Motorradfahrer erheblich gefährdet wurde».
Zudem habe er durch «krasses verkehrsregelwidriges Verhalten» die erhebliche Gefahr «einer Kollision und damit eine Gefährdung für die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer» heraufbeschworen.
Hätte der Polizist den Gesuchten einfach ziehen lassen sollen? Strafverteidiger Stefan Suter (51) ist empört. «Wenn der Polizist nicht reagiert hätte, würde man ihm vorwerfen, seine Arbeit nicht korrekt ausgeübt zu haben», sagt er. Es hätte sich beim Verfolgten um einen gesuchten Terroristen handeln können.
«Hier wird ein Polizist, der sich korrekt verhalten hat, auch noch bestraft.» Suter, bekannt durch seine Vertretung von Financier Werner K. Rey und Bischof Kurt Koch, verlangt für seinen Mandanten einen Freispruch.
Max Hofmann (51), Generalsekretär des Polizeibeamtenverbandes, sieht den Fall als exemplarisch für den völlig unangemessenen Raserartikel im Strassenverkehrsgesetz, der seit Januar 2013 auch für Blaulichtorganisationen strikt angewendet wird – zum grossen Unmut von Polizei, Feuerwehr und Sanität.
Immerhin: Das Parlament hat den Fehler erkannt. Am 15. Dezember berät der Nationalrat über eine Änderung des umstrittenen Passus. Für Thomas W. ein schlechter Trost. In seinem Fall wird das Gericht heute geltendes Recht anwenden.