Polizei lässt Kühe im Stau schmoren
Tierquälerei auf der Gotthard-Autobahn

Bei langem Stillstand in praller Sonne droht den Tieren der Kreislaufkollaps.
Publiziert: 24.06.2018 um 23:40 Uhr
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Aktualisiert: 02.11.2018 um 11:13 Uhr
Kapo Uri zwingt Kühe in den Stau
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Neue Regelung sorgt für rote Köpfe:Kapo Uri zwingt Kühe in den Stau
Myrte Müller und Anian Heierli

Von Ende Mai bis Ende Juni werden bis zu 1500 Milchkühe von der Deutschschweiz ins Tessin auf saftige Alpen gekarrt. Drei bis vier Stunden stehen die meist trächtigen Tiere eingepfercht in LKW-Anängern.

Nun droht der Transport über die A2 zum Horror-Trip zu werden. Denn die Kantonspolizei Uri zwingt die Kühe in den Stau. Bei stundenlangem Stillstand in praller Sonne heizen sich die Boxen auf. Den Tieren drohen Hitzschlag und sogar der Tod.

«Sie brauchen den Fahrtwind, damit die Luft zirkulieren kann», erklärt Attila Ernst (26).  Früher habe der Transporteur bei einem Stau vor dem Gotthardtunnel in Wassen UR auf die Kantonsstrasse ausweichen und bei Göschenen UR wieder auf die A2 einscheren dürfen, sagt Ernst. Doch nun ist Schluss mit dieser Ausnahme. Die Führungsriege der Kantonspolizei Uri setzt das LKW-Fahrverbot auf der Kantonsstrasse ab jetzt auch für Tiertransporte durch. 

«Hat die Kantonspolizei kein Herz?»

«Es war am 26. Mai, kurz nach Mittag. Vor dem Nordportal staute sich der Verkehr. Da habe ich wie gewohnt bei Wassen die A2 verlassen und bin nach Göschenen gefahren», erzählt Attila Ernst weiter. «Dort liess mich ein Beamter nicht auf die Autobahneinfahrt, ich musste nach Wassen zurück und mich in den Stau stellen. Darin haben wir gut 45 Minuten festgesteckt. Ein totaler Stress für die Tiere!»

Am Samstagmittag ist Attila Ernst wieder unterwegs. An Bord seines LKWs stehen zwei Dutzend Milchkühe. Sie sollen nach Fusio TI im hinteren Maggiatal. Wieder bildet sich eine Schlange vor dem Gotthard. Ernst will runter von der A2, wird von der Kantonspolizei abermals gestoppt. Er muss in den Stau zurück. Die Sonne brennt. Die Tiere stöhnen. «Sie tun mir so leid», sagt der Transporteur. «Hat die Polizei denn kein Herz?» Wohl kaum, meint Raimondo Bianchi (70). «Als wir auf das Tierwohl hinwiesen, sagte der Polizist, es interessiere ihn nicht», erzählt Ernsts Begleiter. 

Empörung auch bei Bauern und Älplern. «Man kann die Milchkühe nicht länger als vier Stunden transportieren. Werden sie krank, leidet die Milch und wir können nicht arbeiten. Und davon hängt doch unsere Alpwirtschaft ab», sagt Älplerin Brunella Ribeiro (44) aus Fusio. Sie fordert mehr Sensibilität von der Kantonspolizei. «Die Urner sind selber Bergler, keine Zürcher, die in der Grossstadt leben. Sie wissen doch, was die traditionelle Alpwirtschaft bedeutet.»

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Schon das Einladen in den Camion auf dem Rothenburger Hof bereitet den trächtigen Kühen Stress.
Foto: Siggi Bucher

LKW-Fahrverbot: Keine Ausnahme für Tiertransporte

Über 100 Kühe haben auf Giorgio Dazios (58) Privatalp unterm Naretpass Platz. Drei Viertel davon sind ausgeliehen. «Im Tessin sind wir schon seit vielen Jahren auf die Deutschschweizer Kühe angewiesen. Ohne sie gäbe es keinen Alpkäse mehr.» Auch Dazio fordert: Freie Fahrt für die Kühe!

Montagmorgen lädt Franz Bühlmann aus Rothenburg LU seine Tiere auf Ernsts Anhänger. Er hofft auf eine staufreie Fahrt – und ärgert sich. «Der Tierschutz ist allgegenwärtig. Wir Bauern werden ständig von der Polizei kontrolliert», schimpft Franz Bühlmann. «Dass Kühe nun im Stau stehen müssen – das geht gar nicht!»

Die Kantonspolizei Uri weist darauf hin, dass ab Erstfeld UR ein LKW-Fahrverbot gelte. Die schweizerische Strassenverkehrsgesetzgebung sehe keine diesbezüglichen Ausnahmen für Tiertransporte vor. Das Tierschutzgesetz fordere, dass diese so zu planen seien, dass alle gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden, so Gustav Planzer, Sprecher der Polizei. «Von Montag bis Freitagvormittag haben wir in der Regel freie Fahrt auf der A2.» Doch auch wenn in der Woche der Verkehr stockt, dürfen Tiertransporte grundsätzlich nicht in Göschenen auf die A2. In einer Notsituation will die Polizei aber helfen: «Wenn das Tierwohl erheblich beeinträchtigt ist, bieten wir Hand», so Planzer. 

«Fahrt so planen, dass es weder Stau noch Sonne gibt»

«Die Fahrt soll so geplant werden, dass es möglichst wenig Stau und Sonneneinstrahlung gibt», sagt auch Andreas Ewy (60) vom Laboratorium der Urkantone. «Im Idealfall unter der Woche fahren, wenn es bewölkt ist.» Bei Sonne und Stau sollte die Polizei jedoch eine Lösung zugunsten des Tierschutzes haben – gegebenenfalls gegen Gebühr, so der Kantonstierarzt.

Das sieht Attila Ernst anders: «Ich muss zwölf Transporte im Frühsommer planen. In dieser Zeit gibt es viele Feiertage. Reisende bauen Brücken und es sind an Wochentagen mehr LKW unterwegs. Wie soll ich wissen, wann ein Stau kommt und wann die Sonne scheint?»

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