Roland W.* (51) hatte es auf die Schwächsten abgesehen. Unter den Opfern des ehemaligen Pfadileiters waren Buben, die aus schwierigen familiären Verhältnissen stammten. Die fehlende elterliche Fürsorge machte sie für den Pädophilen zur leichten Beute. Ein Fall, wie er typisch ist.
«Täter wählen oft bewusst Kinder aus Familien, die gerade weniger Ressourcen haben, um sich um ein Kind zu kümmern», sagt Karin Iten, Leiterin der Fachstelle Limita. Sie berät Institutionen wie Schulen und Heime sowie Organisationen in Sachen Prävention sexueller Ausbeutung von Kindern, Jugendlichen und Menschen mit Beeinträchtigungen.
Den Eltern deshalb Schuld zuzusprechen, sei allerdings falsch. «Die Verantwortung für die Tat liegt klar beim Täter!», betont Iten. Denn die Täter – und auch die Täterinnen – gingen sehr manipulativ und äusserst strategisch vor. Missbrauch zu erkennen, wird somit oft praktisch unmöglich. Und Prävention dafür umso wichtiger. Vor allem in so sensiblen Bereichen wie Pfadi oder Sportvereinen. «Es geht nicht darum, sexuelle Ausbeutung im Alltag zu erkennen, sondern zu erschweren», erklärt Iten. Beispielsweise, indem man klarstelle, welche Rolle Personen wie Pfadileiter oder Fussballtrainer gegenüber den Kindern einnehmen – und welche nicht.
Standards für die Rollentrennung sind nötig
Iten nennt dies «Rollenklarheit»: «Es darf zu keiner Vermischung zwischen der Rolle im Verein und dem Privaten kommen, zum Beispiel mit regelmässigen Übernachtungen in der privaten Wohnung.»
Ein Anspruch, den die Verantwortlichen der Pfadi wie auch die Eltern haben dürften. «Dabei geht es nicht um Misstrauen, sondern um Qualitätsansprüche!»
Um Übergriffe zu erschweren, seien Vereine und Organisationen, in denen es Abhängigkeitsverhältnisse von Kindern zu Erwachsenen gebe, gefordert, klare Standards bezüglich Rollentrennung aufzustellen. Ebenfalls wichtig sei es, offen über das Thema sexuelle Gewalt zu sprechen und transparent mit Risikosituationen umzugehen.
«Sensibilisierter als früher»
Bei der Pfadi werden Leiter seit Jahren sensibilisiert und geschult. Es gibt Kurse, Merkblätter und speziell ausgebildete Ansprechpersonen, um Übergriffe wie jene von Roland W. zu verhindern. Dabei geht es um Fragen wie: Wann geht man als Leiter zu weit? Wie tröstet man ein Kind richtig, ohne ihm zu sehr nahezukommen? Und: Was ist zu tun, wenn man als Leiter eine verdächtige Beobachtung macht?
Auch Sportvereine passen auf. Fussballvereine sind beispielsweise seit mehreren Jahren dazu verpflichtet, Mitglied einer Präventionsstelle gegen sexuelle Ausbeutung zu sein. Vor über einem Jahrzehnt hat der Bund in Zusammenarbeit mit Swiss Olympic zudem das Programm «Keine sexuellen Übergriffe im Sport» ins Leben gerufen, welches Sportverbänden, insbesondere Trainerinnen und Trainern, beratend zur Seite steht.
Dies seien Präventionsbemühungen, die laut Expertin Iten gefruchtet hätten. Sie stellt fest: «Die Organisationen sind heute sensibilisierter als früher.»
*Name der Redaktion bekannt