Sina war zwölf Jahre alt. Den Dienstag in den Fasnachtsferien verbrachte sie mit Freundinnen im Shoppingcenter. Danach war sie müde, erschöpft. Eine Erkältung, dachten alle. Nach Bettruhe und ein paar Tassen Tee schien sie am Mittwoch wieder wohlauf. «Sina kam mir vor wie immer, nur ein wenig schlapp», erinnert sich Mutter Petra Fiechter (44).
Am Abend besuchte die Familie eine Pizzeria. «Sina diskutierte munter mit, war quirlig wie immer.» Das Mädchen verputzte eine ganze Pizza, «es schien ihr richtig gut zu gehen.» Wieder zu Hause, gab sie der Tochter einen Gutenachtkuss. «Heute weiss ich, dass es der letzte war.» Einen Tag später war ihre Tochter tot.
Bald drei Jahre sind seither vergangen. Fiechter sitzt in Rickenbach BL am Küchentisch, blättert im Fotoalbum. Sina in den Skiferien, mit einem Halloween-Kürbis, als Baby im Strampler. «Sie war ein aufgestelltes, ruhiges Kind. In der Pubertät war es dann nicht immer einfach. Aber ich war stolz, dass sie ihren eigenen Weg ging, ihren Kopf durchsetzen konnte.» Die Mutter erzählt gefasst und ruhig. Sie habe den Verlust ihres Kindes nach langem Ringen gut verarbeitet. Indem sie ein Buch über die Ereignisse schrieb.
«Ich war lange in einem Loch. Wenn ich an Sina dachte, sah ich nur noch die Szene, wie sie stirbt», erzählt die Serviceangestellte. Die Geschichte niederzuschreiben, war ihre Therapie. «Als ich fertig war, konnte ich Sina wieder so sehen, wie sie wirklich war.»
Am Morgen nach dem Familienessen musste Sina erbrechen, bekam Durchfall, 39 Grad Fieber. Die Mutter brachte sie zum Hausarzt. Der verschrieb ihr Medikamente gegen Schmerzen, Brechreiz und Fieber. Doch zu Hause musste das Mädchen wieder erbrechen. Sie konnte keine Flüssigkeit im Körper behalten, klagte über Durst, kollabierte.
«Wir fuhren in den Notfall. Sie bekam eine Infusion, weitere Medikamente.» Sina ging es nicht besser, ihr Körper wurde jetzt immer kälter. Sie sprach nur noch unverständlich. Doch wenn der Arzt da war, wollte sie sich nichts anmerken lassen. «Sie war eine Kämpferin, wollte keine Schwäche zeigen. Deshalb behauptete sie, alles sei in Ordnung.» Da entliessen die Ärzte das Mädchen.
Ein verheerender Fehlentscheid, wie sich zeigte. Doch Fiechter ist nicht wütend auf die Ärzte – nicht mehr. «Immer wieder habe ich mich nach Sinas Tod gefragt, warum niemand erkannt hat, dass sie in Lebensgefahr ist.» Doch solche Gedanken hätten sie nur zusätzlich verbittert. «Heute brauche ich keinen Schuldigen mehr.»
Nach dem Notfall lag das Mädchen neben der Mutter im Bett. Sie hatte Krämpfe, atmete schwer. «Sina sprach nicht mehr, wälzte sich nur hin und her. Es war für mich nicht auszuhalten, meine Süsse so zu sehen.» Dann folgten zwei Minuten Stille. «Endlich Besserung», dachte die Mutter. Da drehte das Kind den Kopf zu ihr und sagte: «Mami, ich sterbe.» Es waren Sinas letzte Worte.
«Es tat nur noch weh, war unbegreiflich. Unsere Sina war nicht mehr da.» Wie die Obduktion später zeigte, starb sie an einer Grippe. «Das wollte ich anfangs nicht glauben. Wie kann eine einfache Grippe ein kerngesundes Mädchen aus dem Leben reissen?» Nach schweren Monaten hat die Mutter heute ihre eigene Antwort darauf gefunden. «So sehr es auch schmerzt: Das war der Weg, der für Sina bestimmt war.»
In einem schwarzen Abendkleid wurde das Mädchen beerdigt. Einst gehörte es Petra Fiechter. «Sina entdeckte es in meinem Schrank, bevor wir in der Pizzeria essen gingen», erinnert sie sich. «So schön!», habe die Kleine geschwärmt. «Wenn ich gross bin, darf ich das dann haben?»