Peter Rothenbühler
Ohne Mannschaft bist du nichts

Peter Rothenbühler war von 1985 bis 1988 Chefredaktor des SonntagsBlicks. Der Jurassier schraubte die Auflage auf 400 000 Exemplare hoch. Und erzählt eine Geschichte, die ihm bis heute nahegeht.
Publiziert: 14.03.2009 um 15:12 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 18:59 Uhr

Es gehört wohl zu meinem Karma, dass ich als Chefredaktor für eine Zeitung immer nur dann in Frage komme, wenns kein anderer machen will. Als mein Vorgänger Peter Balsiger zum BLICK ging, bat mich Direktor Walter Bosch («Chef der Chefredaktoren»), doch bitte den SonntagsBlick zu übernehmen. Es sei sehr wichtig, denn es kämen gleich zwei neue Konkurrenten auf den Markt. Was er mir anbot, war eigentlich ein Himmelfahrtskommando.

Die blaue «SonntagsZeitung» wurde von Fridolin Luchsinger geleitet und das ebenfalls blaue «Sonntagsblatt» von Karl Lüönd. Beide waren frühere BLICK-Chefs, Profis, Cracks, die wirklich wussten, wie man Auflage macht. Die Verkaufskurve des SonntagsBlicks konnte bei dieser Konkurrenz nur runtergehen. Und früher oder später würde man auf der Teppichetage zum Schluss kommen, dass dies allein auf die mangelnden Fähigkeiten des Chefredaktors zurückzuführen sei. So ist es immer und überall, wenn die Auflage runtergeht, da nützt selbst regelmässiges Tennisspielen oder Skifahren mit dem Verleger nichts.

Ich war gewarnt und stürzte mich trotzdem in die Aufgabe. Und weiss noch heute nicht, warum es ganz anders herausgekommen ist. So gut, dass ich nur wenige Jahre später den Übermut hatte, auch die kränkeste Kuh des Verlages zu übernehmen, die «Schweizer Illustrierte», die mit sieben Millionen Verlust damals eine Art Fass ohne Boden war.

Ausgerechnet nach dem Start der beiden Blauen stieg die Auflage des SonntagsBlicks steil nach oben. Wenn wir nicht weit über 350 000 Exemplare verkauften, versanken wir ins Grübeln. Mehrmals zeigte der Verkauf sogar über 400 000 Exemplare an. Rekord! Ich denke, dieses Aufbäumen des SoBlis hatte viel mit der Konkurrenz zu tun: Sie belebt den Markt halt doch.

Und machte uns Feuer unter dem Hintern. Wir waren dazu verdammt, einen guten Job zu machen. Das heisst, der Erfolg war, nüchtern betrachtet, vor allem meinen zwei wichtigsten Mitarbeitern zu verdanken, den Nachwuchstalenten Philip Loepfe und Jörg Kachelmann. Nachrichtenchefs mit einer Spürnase für News, die auch wussten, wie man schwierige Aussenposten wie Polizeireporter Urs Hämmerli oder Wallis-Korrespondent Hubert Mooser zu sensationellen Höchstleistungen anspornte.

Beim Sport konnte ich mich auf das journalistische Trüffelschwein Urs Heller verlassen, der Reporterstars wie Mario Widmer oder Roger Benoit den nötigen Freilauf liess. In der People-Redaktion sassen Jürg Haller und Antonia Kuhn, an denen kein Leutschenbach-Skandälchen vorbeiging. Kurz, ich kam unbelastet wie Candide zu einer Mannschaft, die wie die Berliner Philharmoniker funktionierte: nämlich sehr gut, auch ohne Chef.

Nicht zu vergessen der geniale Textchef Ebi Müller (immer eine Kiste Bier unter dem Pult), der coole norddeutsche Produktionschef Ecke Lehne (verlor nie die Nerven), Luggi Zierer (die bayrische Gemütsmore) und natürlich Ottokar, der geheimnisvolle Fotochef (der immer noch ein Bild mehr in seinem Karton hatte).

Besondere Geschichten, die mir im Gedächtnis geblieben sind? Eigentlich nur tragische. Die zu jenen Erlebnissen gehören, denen ein Journalist nicht ausweichen kann, und unbeteiligte Beobachter zum Urteil verleiten, man sei bereit, für die höhere Auflage über Leichen zu gehen.

Der Werber, Bergsteiger und Expeditionist Stefan Wörner war ein guter Freund, er hat mir das Klettern beigebracht. Ein athletisch gebauter Mann mit blonder Mähne, zusammen mit seinem Berner Sennenhund auf Plakaten für die Parisienne-Zigaretten zu sehen und in der Schweiz fast so berühmt wie der Marlboro-Mann. Er schrieb und fotografierte regelmässig für den SonntagsBlick. Wir verstanden uns gut, führten gemeinsam Helikopter-Skiwochen für SonntagsBlick-Leser durch.

Vor seiner Expedition auf den Achttausender Cho Oyu kaufte ich ihm die Exklusivrechte für Text und Bild ab. Vor seinem Abflug in den Himalaya sprachen wir noch darüber, dass Reportagen über Achttausender-Expeditionen eigentlich nichts mehr Besonderes seien, ausser ... Ja, Stefan war Medienprofi genug, um mir zu sagen: «Weisst du, wenn mir etwas zustösst, kriegst du alles exklusiv.» Stefan Wörner ist im Mai 1988, an einem Donnerstag, beim Abstieg vom Cho Oyu in seinem Zelt liegen geblieben, in einer Höhe, wo jede Rettung ausgeschlossen ist, vermutlich litt er an einem sogenannten Höhenödem.

Seine Frau erhielt die Nachricht am Freitag, sie rief mich am frühen Samstagmorgen an: «Stefan ist oben geblieben», sagte sie. Und: «Wir haben dir versprochen, dass du es zuerst erfährst.» Was hätte ich anderes tun können, als diese Story selbst zu schreiben, auf Seite eins Abschied zu nehmen von einem grossen Bergsteiger und persönlichen Freund. Die Mannschaft hat mich bei der traurigen Arbeit lautlos unterstützt. Keiner sagte ein falsches Wort.

Ich habe erst im Auto geweint. Am Sonntag fuhr ich frühmorgens in die Berge, zu der Wand, wo mir Stefan das Felsklettern beigebracht hatte. Setzte mich an die Sonne. Und tröstete mich mit dem Gedanken, dass Stefan, der jetzt für immer dort oben sitzt, an meiner Stelle genau gleich gehandelt hätte.


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