Im Artikel vom 3. Dezember 2015 in den Wiler Nachrichten posieren Nationalrat Lukas Reimann und Kantonsrat Erwin Böhi im Bahnhof von Wil SG auf einem Abstellgleis. Sie kritisieren im Artikel den Leistungsabbau der SBB. Denn neu verkehren seit dem Fahrplanwechsel drei Züge pro Stunde zwischen St. Gallen und Zürich, einer davon hält aber nicht in Wil. Dagegen wehren sich die beiden SVP-Politiker.
Jetzt hat die Aktion ein juristisches Nachspiel, wie die Wiler Nachrichten melden. Reimann und Böhi sowie der Fotograf erhielten eine Anzeige der SBB. Denn das Betreten und Überschreiten der Gleise ist lebensgefährlich und verboten. Alle drei mussten auf dem Polizeiposten antraben, um auszusagen. Reimann habe auf dem Posten «lediglich den Sachverhalt» erläutern müssen. «Der war innert wenigen Minuten geklärt», sagt er zu Blick. Über die weiteren Konsequenzen und die Höhe einer allfälligen Busse würde nun die ermittelnde Staatsanwältin entscheiden.
Retourkutsche der SBB?
«Wir haben nicht die Gleise überquert, sondern sind einfach bei einem Prellbock hingestanden», sagt Böhi heute zum St. Galler Tagblatt. Zudem würden auf dem Gleis jeweils nur abends eine S-Bahn abgestellt, tagsüber herrsche dort kein Betrieb. Böhi glaubt deshalb, die Anzeige sei eine Art Retourkutsche auf die Kritik im Artikel.
Reimann meint dazu lapidar: «Die SBB hat eine überdimensionierte Abteilung „Recht und Compliance“, die offensichtlich unterbeschäftigt ist.» Auch er glaubt fest an einen politisch motivierten Hintergrund der Anzeige, sagt er heute Morgen zu Blick. «Das ist ganz klar. An der gleichen Stelle wurden bereits CD-Covers und andere öffentlich zugängliche Fotos aufgenommen – ohne dass je eine Strafanzeige eingereicht wurde.»
Davon wollen die SBB nichts wissen. «Die Anzeige ist nicht politisch motiviert. Sie hat auch nichts mit dem Inhalt des Textes zu tun. Wir behandeln alle gleich», sagt SBB-Mediensprecher Oli Dischoe zu Blick. «Wir reichen konsequent Anzeige ein, wenn uns ein Fall bekannt wird und wir die Personen identifizieren können, welche die Gleise betreten oder überquert haben.» Denn Laien seien nicht in der Lage, die Situation richtig einzuschätzen, wann und wie schnell sich ein Zug nähern könnte – selbst auf scheinbar unbenutzten Gleisen.
Kein Promibonus
Sobald ihr Fälle bekannt werden – auch aus den Medien – gehe die SBB dagegen vor. «Dabei spielt es keine Rolle, ob eine Person prominent ist oder nicht», so Dischoe. Seit dem 1. Januar dieses Jahres würden solche Vergehen überdies von Amtes Wegen verfolgt – eine Anzeige der SBB sei fürs Einleiten einer Strafverfolgung nicht mehr nötig.
Diese Erklärung reicht Reimann und Böhi nicht. Sie wollen auf die Anzeige nun «politisch reagieren». Wie, das sagen sie allerdings nicht konkret. Reimann: «Ich lasse mir den Mund von der SBB nicht verbieten. Es ist meine Aufgabe als Volksvertreter für eine kundenfreundliche und effiziente Bahn einzutreten.»
Fast derselbe Fall beim Blick
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Personen von der SBB angezeigt werden, wenn sie in den Medien mit entsprechenden Aufnahmen auf Gleisen erscheinen.
Im Blick trugen 2014 der FCZ-Goalie David Da Costa und Materialwart Hermann Burgermeister den Cup-Pokal in Altstetten symbolisch über die Gleise. Es handelte sich um eine gestellte Aufnahme, ebenfalls auf einem unbenutzten Abstellgleis. Ringier übernahm die je 80 Franken teuren Bussen der beiden Protagonisten und der Fotografin. (ct)