Einhundert, zweihundert, dreihundert Franken. Ein Hunderternötli nach dem anderen fächert der Geldbriefträger vor Richard Suhner und seiner Mutter in Herisau AR auf. Am Ende sind es zehn. Der BLICK-Fotograf drückt ab.
Das Titelfoto von Heiligabend 1959, da gab es BLICK erst zwei Monate, zeigt den damals 13-Jährigen ungläubig lächelnd: ein Schlaks mit Segelohren, der nach den Scheinen greift. Wie reich muss sich Richard Suhner in diesem Moment gefühlt haben?
«1000 Franken waren ein Wert, den ich mir gar nicht vorstellen konnte», sagt der heute 73-Jährige in Eglisau ZH, wo er mit seiner Frau Tuti (69) lebt. «Das war das doppelte Monatsgehalt meines Vaters!»
Geldbriefträger gibt es 60 Jahre später längst nicht mehr, und 1000 Franken verdient heute ein Lehrling im Schnitt. Aber die Erinnerung an diesen Moment ist dem Gewinner von damals geblieben.
Vater wollte nicht, dass er beim BLICK-Wettbewerb mitmacht
«Ich habe dadurch gelernt, nie aufzugeben. Dass ich immer kämpfen muss für meine Ziele», sagt der Senior. Damit er beim BLICK-Wettbewerb mitmachen durfte, musste er sich gegen seine Eltern durchsetzen.
«Bub, lass den Unsinn sein», habe sein Vater gesagt. Der Polier ärgerte sich über die Löcher in seiner Zeitung, denn für den Gewinn musste der Teenager in der Adventszeit Bildstücke sammeln und zusammensetzen. Das Weihnachtspuzzle klebte er auf einen Karton, den die BLICK-Redaktionssekretärinnen aus einem riesigen Haufen Einsendungen zogen und zum Sieger kürten.
Der Vater, ein «echter Patriarch», sackte die Hälfte vom Gewinn ein. «Schliesslich hatte er den BLICK bezahlt», erklärt Suhner. «Meine Mutter nahm die Hälfte meiner Hälfte, weil sie beim Puzzle geholfen hatte.» So blieben dem Teenager nur noch 250 Franken. Nicht genug für die drei Wünsche, von denen er damals erzählt hatte: einen Tschoopen, ein Kleinradio und eine Uhr.
«Die Jacke hab ich mir sicher gekauft», erinnert sich Suhner. «Sie war auf jeden Fall blau. Damals musste bei mir alles blau sein.» Den Uhren-Wunsch erfüllte ihm BLICK jetzt und überreichte dem Senior 60 Jahre später eine Swatch-BLICK-Jubiläumsedition.
Neue alte Liebe
«Die ist ja toll!», freut sich Richard Suhner. «Tuti, hilfst du mir mal bitte?», fragt er seine Frau. Die legt ihm das Armband flink an. «Meine Kollegen werden staunen», sagt Suhner. «Sonst habe ich eher konservative Modelle.» Tuti dreht seinen Arm, um die aufgedruckten Schlagzeilen sehen zu können. «Echt schön», findet sie.
Im August hat das Paar kirchlich geheiratet – für beide ist es nach dem Tod ihrer Ehepartner die zweite Ehe. Ein dickes Fotoalbum zeigt sie bei der Hochzeit in Indonesien, Tutis Heimatland. Dort haben sie sich das Jawort gegeben – im Hotel, in dem sie sich schon vor 40 Jahren kennengelernt haben.
«Er hat mich zum Essen eingeladen», erinnert sich Tuti. Doch alle Avancen lehnte sie ab. «Das wollte ich seiner Frau nicht antun. Aber aus dem Kopf bekommen habe ich ihn auch nie.»
Sie verliebte sich kurz darauf in einen anderen Schweizer, zog mit ihm nach Eglisau und bekam zwei Söhne. Suhner, gelernter Schlosser, reiste währenddessen durch die Welt, montierte Textildruckmaschinen. In 39 Ländern arbeitete er. «Ich hatte ein schönes und interessantes Leben», sagt Suhner.
Berndeutsch rettete ihn vor brenzliger Situation
Zweimal wurde es brenzlig. Im Iran hatte er bei einer Strassensperre in Ghom plötzlich eine Maschinenpistole an der Brust, in Damaskus geriet er am Flughafen in Streit mit einem Getränkeverkäufer. Als dem Mann ein Soldat zur Seite sprang, lavierte sich Suhner mit Berndeutsch heraus. «Da hat der Soldat die Beleidigungen einfach nicht mehr verstanden.»
Nach 15 Jahren rund um den Globus kehrte Richard Suhner nach Hause zurück, lebte mit seiner Frau Lotti im Berner Oberland und hielt oberflächlich Kontakt mit Tuti, die sich in ihrer neuen Heimat einrichtete. Während sie Kochkurse gab und Nachbarn die Kunst des Obstschnitzens beibrachte, studierte Suhner Verwaltungswirtschaft und arbeitete für die Armee.
Doch die Schreibtischarbeit war ihm immer ein bisschen zu langweilig. Mit 59 liess er sich pensionieren – und brach wieder auf, um die alten Textildruckmaschinen zu flicken, die er schon in jungen Jahren montiert hatte. «Heute käme ich da gar nicht mehr drunter», sagt er grinsend. Seine Frau droht scherzhaft: «Ich muss dich wohl auf Diät setzen!»
Das Ehepaar strahlt sich gegenseitig an. Vor zwei Jahren stand Suhner einfach bei Tuti vor der Tür in Eglisau. «Du, wir passen zusammen», habe er ihr gesagt. Und ein paar Monate später: «Say cinta padamu» – «Ich liebe dich» auf Indonesisch. Ihr Erfolgsrezept für die Liebe? «Wir reden über Probleme, die es gibt», sagt Richard Suhner. «Wir sind auch nicht immer einer Meinung», sagt seine Frau. «Aber es gibt immer eine Lösung.»
Die Liebe ist nicht verflogen, die Abenteuerlust auch nicht. Bald will Suhner mit Tuti in den Norden reisen. Zwei bis drei Monate mit dem Wohnwagen sind geplant: Norwegen und Finnland liegen auf jeden Fall auf der Route. Dafür wird er wohl ein bisschen mehr brauchen als 1000 Franken. Aber den unerschütterlichen Glauben, seine Ziele zu erreichen, hat er spätestens seit jenem BLICK-Gewinn vor 60 Jahren.