Rheintaler fischen Schwemmholz aus dem Fluss
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Jahrhunderte alte Tradition:Rheintaler fischen Schwemmholz aus dem Fluss

Treibgut mit dem Lasso fangen – Blick bei den Rheinholzern
«Es ist wie eine Sucht»

Wenn der Altrhein Hochwasser führt, wagt sich Jimmy Lüchinger in den Sturm. Mit einem Wurfhaken holt er kiloweise Holz aus dem reissenden Fluss. Die gefährliche Tradition der Rheinholzer bringt ihn um den Schlaf – vor Aufregung.
Publiziert: 29.08.2023 um 18:33 Uhr
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Aktualisiert: 29.08.2023 um 21:52 Uhr
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Jimmy Lüchinger (64) ist einer von 50 aktiven Rheinholzern, die Schwemmholz aus dem Altrhein ziehen.
Foto: URS BUCHER
David Rutschmann Urs Bucher (Fotos)

Die letzten Tage hat es in der Ostschweiz massiv geregnet. Im St. Galler Rheintal trat am Montag der Rhein über die Ufer. Trotz prognostiziertem Jahrhunderthochwasser kam es zu keinen grösseren Schäden. Auch in Montlingen SG stieg der Pegel an. Doch hier fürchtet man das Hochwasser nicht. Denn man weiss: Jetzt geht das Rheinholzen wieder los.

Einer, der sich deswegen die Hände reibt, ist Dietmar Lüchinger (64). Alle nennen ihn «Jimmy». Für ihn gibt es kein Halten mehr, wenn der Wetterbericht Dauerregen bringt. Er checkt den Pegel vom Vorder- und Hinterrhein – und geht selbst ans Rheinufer vor seiner Haustür in Montlingen. Er schaut, ob es schon so weit ist. «Ich kann dann nicht schlafen oder arbeiten, ich muss warten, bis das Holz kommt», erzählt er, während er wieder im Morast des Altrheins steht. «Es ist wie eine Sucht.»

«Es braucht weitere Anpassungen»
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Experte zu Hochwasserschutz:«Es braucht weitere Anpassungen»

Der Grenzfluss zwischen Österreich und der Schweiz ist an diesem nasskalten Mittag dreckig und spült reichlich Treibholz aus den Alpen ins Rheintal. Genau auf das ist Jimmy Lüchinger aus. Wie ein Cowboy mit einem Lasso in der Hand steht er mit einer 25-Meter-Leine samt befestigtem Wurfhaken am Ufer. Er wartet ab, bis ein passender dicker Ast oder Baumstamm vorbeifliesst, um den Haken zielgenau dahinter zu werfen und das Treibgut so an Land ziehen zu können.

Lüchinger ist eines von rund 50 Mitgliedern der Rheinholzervereinigung, die diese alte Tradition der umliegenden Dörfer pflegen. Als Lüchinger ein Kind war, sei die Familie noch auf das Treibgut als Brennmaterial für den Kamin angewiesen gewesen – wie alle Familien in den umliegenden Dörfern. All seine fünf Geschwister hätten den Eltern geholfen. Lüchinger warf als Sechsjähriger zum ersten Mal den Wurfhaken. Heute geht es den meisten um die Tradition.

Die Erlen lässt Lüchinger vorbeiziehen. Ihr dickes Wurzelgestrüpp gibt im fliessenden Hochwasser zu viel Widerstand. Für den Blick-Besuch will er dennoch einen langen Erlenstamm an Land ziehen. Er wirft den Haken aus, doch die Erle kann sich aus der Schlinge winden. Damit gibt sich Jimmy Lüchinger nicht zufrieden. Er joggt den Flussverlauf entlang, platziert sich so, dass er stabil steht, und wirft den Haken erneut aus. Diesmal mit Erfolg.

Gefährliches Spiel mit dem Fluss

Das Manöver ist eine gefährliche Aktion. Nur schon, weil Lüchinger heute allein ist. Rheinholzer gehen meist nur in Gruppen zum Fluss – für den Plausch, aber auch als Sicherheitsmassnahme. «Das Wasser bleibt selbst für routinierte Rheinholzer unberechenbar», sagt er. Lüchinger kennt Geschichten von jungen Männern, die das Spiel mit dem wilden Fluss verloren – und ums Leben kamen. Deshalb sitzt die Schlinge des Seils locker an seinem Handgelenk, damit er nicht mitgerissen werden kann.

Warum setzt sich ein Familienvater freiwillig dieser Gefahr aus? Lüchinger sagt, die Leidenschaft sei wie ein Gen ein Teil von ihm. Auch wenn ihm nach acht Stunden Wurfhakenschwingen und Baumstämmeschleppen alle Muskeln wehtun – er würde trotzdem zu jeder Tages- und Nachtzeit losgehen. Einmal sei er mit seiner Familie schon auf dem Weg in den Urlaub gewesen, als sie auf der Fahrt das Holz im Wasser sahen. «Ich bin wieder umgedreht und zum Rhein gegangen», sagt er und lacht.

Kiloweise Holz aus dem Wasser gezogen

Die vielen aufgebahrten Holzscheite am Uferweg zeugen von einer erfolgreichen Ausbeute dieses Hochwasser-Wetters. Kollegen von Jimmy Lüchinger werden das Holz zersägen und mit dem Traktor abtransportieren – und für den Kamin verwenden. Auf einem Stapel thront ein Schwimmring, der Lüchingers Gruppe vor zwei Tagen entgegengeschwommen sei. «Wir haben uns kaputtgelacht», sagt er. Aber es ist auch eine mahnende Erinnerung daran, dass man nicht ohne Respekt zum Fluss gehen sollte.

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