Am Donnerstag ist ein Thurgauer Kader-Polizist am Bezirksgericht in Münchwilen TG verurteilt worden. Er war auf einer Dienstfahrt mit Blaulicht und Sirene in Bettwiesen TG innerorts mit rund 110 Kilometern pro Stunde (km/h) unterwegs und in einen Unfall verwickelt. Das sei mit Blick auf die Dringlichkeit des Einsatzes eine unangemessene Geschwindigkeit gewesen, urteilte das Gericht.
Das Gericht sprach den Polizisten schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 200 Franken. Ausserdem hat er Verfahrenskosten von rund 9500 Franken zu bezahlen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. «Wir wollen keinen Polizeioffizier an einem Einsatz hindern, aber wir appellieren an die Verhältnismässigkeit"» sagte der Richter während der Urteilsverkündung. «Sie mussten kein Leben retten, keinen Brand löschen und keinen Amoklauf beenden.»
Zu schnell unterwegs – Unfall mit anderem Fahrzeug
Auch bei einer Fahrt mit Blaulicht müsse darauf geachtet werden, welches Tempo innerorts verhältnismässig sei. Das Gericht kam zum Schluss, dass in diesem Fall 70 km/h zwar nicht harmlos, aber gerade noch vertretbar gewesen wären. Deshalb zog es zur Strafbemessung eine Geschwindigkeitsübertretung von 40 km/h in Betracht.
Der Polizist fuhr am Sonntagvormittag im April 2022 mit Blaulicht und Sirene von Bronschhofen SG in Richtung Kreuzlingen TG. Als Kommando-Pikettchef der Kantonspolizei Thurgau erhielt er zuvor einen Anruf, dass in einer Wohnung in Kreuzlingen TG eine Person mit Stichverletzungen vorgefunden worden sei. Ausserdem sei in derselben Liegenschaft ein Mann aus dem dritten Stock gestürzt und verstorben.
Der Kaderpolizist fuhr mit Blaulicht und Sirene schliesslich mit 110 Kilometern pro Stunde durch die Ortschaft Bettwiesen. Dort bog ein anderes Auto in die Hauptstrasse ein und nahm ihm den Vortritt. Trotz Vollbremsung konnte der Polizist eine Kollision nicht verhindern.
Staatsanwaltschaft fordert Haftstrafe
Vor dem Bezirksgericht Müchwilen forderte die Staatsanwaltschaft eine bedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten aufgrund eines Raserdelikts. Der Kaderpolizist habe keine Berechtigung für eine «Dringlichkeitsfahrt» mit derart massiver Geschwindigkeitsübertretung gehabt, argumentierte der Generalstaatsanwalt vor Gericht.
Denn zu jenem Zeitpunkt hätten sich bereits zahlreiche Einsatzkräfte einschliesslich der Einsatzleitung vor Ort befunden. Die Lage sei unter Kontrolle gewesen. Der Kaderpolizist sei nicht aufgefordert worden, nach Kreuzlingen zu fahren, und er habe vor seiner Abfahrt auch nicht mit dem Einsatzleiter Kontakt aufgenommen.
Fahrt mit Blaulicht muss gerechtfertigt sein
Eine Blaulichtfahrt sei nur erlaubt, wenn damit eine erhebliche Einsatzverzögerung verhindert werden könne, erklärte der Generalstaatsanwalt. Wenn man sich aber als hochrangiger Polizist «einen Blick vor Ort» verschaffen wolle, reiche das nicht. Und selbst wenn die Rechtfertigung für eine Blaulichtfahrt gegeben gewesen wäre, hätte die Geschwindigkeit von 100 km/h innerorts gemäss interner Polizeivorschriften nicht überschritten werden dürfen, so der Generalstaatsanwalt vor Gericht weiter.
Die Lage sei beim Anruf unübersichtlich, gar chaotisch gewesen, argumentierte der Polizist vor Gericht. Er habe deshalb den Eindruck gewonnen, möglichst schnell ausrücken zu müssen. So rasch wie möglich habe er die Einsatzkräfte vor Ort unterstützen, die Lage koordinieren wollen. Es sei ungewiss gewesen, ob hinter der Tat gar Terrorismus, politische Motivation oder organisiertes Verbrechen steckte, sagte der Angeklagte weiter. Ausserdem seien in der Grenzstadt Kreuzlingen oft Absprachen mit der deutschen Polizei nötig.
In grossen Fällen übernehme der Kommando-Pikettchef die Führung, erklärte dessen Anwalt den Richtern. Damals sei seinem Mandanten nicht klar gewesen, dass es sich letztlich um ein Familiendrama handle. Der Fall hätte ein Grossereignis werden können, flüchtende Täter seien nicht ausgeschlossen gewesen. «Er musste sich vor Ort ein eigenes Bild machen.»
Kritik übte der Anwalt an der Feststellung, sein Mandant sei innerorts 110 Kilometer pro Stunde gefahren. Das sei nicht erwiesen. Diese Angabe basiere lediglich auf dem Unfalldatenschreiber des Fahrzeugs seines Mandanten. Für das Gericht bestand jedoch kein Zweifel, dass es sich auf diese Daten abstützen kann.