Auf einen Blick
- Martin Sellner sollte auf Einladung der «Jungen Tat» einen Vortrag über «Remigration» halten
- Der Rechtextremist versuchte nicht ernsthaft, in die Schweiz zu gelangen
- Stattdessen provozierte er eine Festnahme durch die Polizei und inszenierte sich als Märtyrer
Wäre Martin Sellner (35) kein Rechtsextremist, der Verschwörungstheorien verbreitet und rassistische, völkische und antisemitische Ideologien predigt, könnte er als PR-Berater Karriere machen: Der Österreicher beherrscht die Selbstinszenierung und die gezielte (politische) Provokation wie nur wenige.
Am Samstag hat er sein Können wieder einmal unter Beweis gestellt. Der Volksverhetzer, der Menschen mit ausländischen Wurzeln zur «Remigration» zwingen will, wollte offiziell an einer Veranstaltung der Schweizer Gruppierung «Junge Tat» auftreten.
Statt still und leise in die Schweiz einzureisen, um den Termin wahrnehmen zu können, führte er aber lieber eine Festnahme durch die Kantonspolizei Thurgau herbei. Im schwarzen Shirt, auf dem die «Madonna mit Kind und dem Erzengel Michael» von Tommaso del Mazza zu sehen ist – das Gemälde wurde durch die Schüsse von Sanija Ameti einschlägig bekannt. Sellner hatte damals den rechten Internetmob gegen die Operation Libero-Co-Präsidentin mobilisiert.
Angekündigtes Laientheater
Sellner, gegen den das Bundesamt für Polizei Fedpol eine Einreisesperre verhängt hat, überquerte bei Konstanz (D) die Grenze und wurde in Kreuzlingen TG von Kantonspolizisten in Empfang genommen. Auf einem live gestreamten Video ist zu sehen, wie Sellner den Unschuldigen mimt: «Ist das schon die Schweiz?», fragt er die Beamten. «Ich wollte nicht in die Schweiz einreisen, ich will in Deutschland bleiben», beteuert er.
Es ist ein Laientheater, das Sellner wenige Minuten zuvor auf der Schifffahrt über den Bodensee angekündigt hatte: «Ich werde jetzt sehr bald mit der Presse sprechen, auf schweizerischem Grund», sagte er seinen Jüngern auf X. Es gehe ihm vor allem darum, durch dieses Vorgehen den «politischen Gegner» zu einer «Selbstentlarvung» zu zwingen und zu zeigen, «wie weit es mit der Meinungsfreiheit bereits bergab gegangen ist».
«Ich bin ein Getriebener»
Kurze Zeit später hat Sellner sein Ziel erreicht. Er wird von den Schweizer Behörden zwei Stunden festgehalten, bekommt seine Einreisesperre schriftlich ausgehändigt – und wird danach in einem Schiff über den Bodensee ausgeschafft.
Auf dem Weg zurück nach Deutschland macht sich der Österreicher über die Schweizer Beamten lustig: «So bequem und angenehm bin ich noch nie abgeschoben worden», sagt er und prostet seinem Live-Publikum mit einer Kaffeetasse zu.
Er ist sichtlich zufrieden, dass sein Plan – inklusive breitem Medienecho – aufgegangen ist. Dass er unbehelligt ausreisen kann und seine Komfortzone nicht verlassen musste, hindert ihn nicht daran, sich als Märtyrer zu inszenieren: «Ich bin wie ein Getriebener und werde wie ein geprügelter Hund verjagt, nur weil ich mein Recht auf Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen möchte.»
Livestream statt Grenzüberquerung
Kämpferisch kündigt er an, dass er sich davon nicht aufhalten lassen werde und der Vortrag trotzdem stattfinde – noch heute. «Ich werde zu den Schweizern über Meinungsfreiheit und Remigration sprechen», verspricht er.
Wer nun eine geheime Grenzüberquerung erwartete, wurde jedoch enttäuscht. Stunden später, in einem weiteren Video, sprach Sellner von «Livestream und Hologrammen». Auch selbst ernannte «Freiheitskämpfer» mögen es heutzutage gerne bequem.