Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen hat gegen das ehemalige Mitglied einer belarussischen Spezialeinheit vor dem Kreisgericht Rorschach einen Schuldspruch wegen Verschwindenlassens gefordert. Seine Schilderung, im Auftrag des Lukaschenko-Regimes an drei Morden beteiligt gewesen zu sein, seien glaubhaft. Hinterbliebene der Opfer verlangten Genugtuungen.
Der 45-jährige Angeklagte erklärte vor Gericht, dass er in den 1990er Jahre im belarussischen Militär einer Sondereinheit des Innenministeriums angehörte. Er sei für die Festnahme von «Kriminellen» trainiert worden.
Asylantrag brachte Prozess ins Rollen
Bereits bei seinem Asylantrag 2019 gab der Mann an, im Auftrag des Lukaschenko-Regimes an der Ermordung von drei oppositionellen Politikern beteiligt gewesen zu sein. Das brachte diesen Prozess ins Rollen.
Vor den Richtern schilderte der grossgewachsene Beschuldigte am Dienstag, wie er damals Aufträgen zur Entführung und Erschiessung von Personen mitausgeführt, nicht aber selber gemordet habe. Erstmals verhandelte ein hiesiges Gericht den seit 2017 im Schweizer Strafgesetzbuch verankerten Artikel wegen Verschwindenlassens im Auftrag diktatorischer Regime.
Demnach kann auch hierzulande jemand angeklagt werden, wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Der Gesetzesartikel gründet auf einem Uno-Übereinkommen. Der Fall findet aufgrund seiner Tragweite internationale Beachtung.
Die Staatsanwaltschaft erachtete das Geständnis des Beschuldigten als glaubhaft. Aussagen des ehemaligen Mitglieds einer militärischen Spezialeinheit in Belarus hinterliessen zwar einen zwiespältigen Eindruck, festgestellte Widersprüche würden jedoch Nebenschauplätzen betreffen, so der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Er erachte die Beteiligung an den drei Morden als erwiesen. Deshalb forderte er eine Verurteilung wegen Verschwindenlassens.
Auch Vertreter von Hinterbliebenen fordern Verurteilung
Der Rechtsverteidiger von zwei Hinterbliebenen der damaligen Opfer verlangte ebenfalls eine entsprechende Verurteilung. Zu seinen Mandantinnen zählte unter anderem die am Prozess anwesende Tochter des ehemaligen Innenministers von Belarus. Der Anwalt stellte den Antrag auf Genugtuung für seinen beiden Mandantinnen von je 200'000 Franken.
Der Anwalt schilderte den emotionalen Schmerz der Hinterbliebenen und äusserte Kritik am Regime von Alexander Lukaschenko. «Er hat meinen Mandantinnen die Väter genommen.» Aus diesem Prozess könnten sie erstmals Hoffnung schöpfen, dass die Wahrheit ans Licht komme. Die Schilderungen des Beschuldigten seien glaubwürdig, das Geständnis stimmig.
Bereits bei der Befragung des Angeklagten zu Beginn der Verhandlung strich der Richter jedoch Widersprüche zwischen den aktuellen Schilderungen und getätigten Aussagen an früheren Befragungen hervor. Der Belarusse begründete die Ungereimtheiten vor Gericht mehrfach mit Übersetzungsfehlern.
Vorwand, um positiven Entscheid zu erwirken?
Der Richter unterstellte dem Beschuldigten, sich die Beteiligung an den bis heute unaufgeklärten Morden an Oppositionspolitikern möglicherweise ausgedacht zu haben, um einen positiven Asylentscheid zu erhalten und in der Schweiz bleiben zu können.
Für die St. Galler Staatsanwaltschaft ist der Tatbestand des Verschwindenlassens hingegen erwiesen. Sie fordert drei Jahre Freiheitsentzug, wobei ein Jahr zu vollziehen sei, falls das Gericht die Beteiligung an den drei Morden feststellt.
Eine Eventualanklage der Staatsanwaltschaft sieht andernfalls vor, den Mann wegen Irreführung der Rechtspflege zu einer bedingen Freiheitsstrafe von neun Monaten zu verurteilen.
Die Verhandlung wurde am Dienstagabend unterbrochen. Sie wird am Mittwoch weitergeführt. Dann wird das Plädoyer der Pflichtverteidigerin des Beschuldigten erwartet und möglicherweise ein Urteil gefällt. (SDA)