Skandalprozess von Kümmertshausen TG wird zum Millionengrab
Kronzeuge Yilmaz B. im Gerichtsaal verhaftet

Eklat im Mega-Prozess um den toten IV-Rentner Peter G. Nach jahrelangen Ermittlungen und 42 Tagen vor Gericht bricht die Anklage wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die vermeintlichen Haupttäter werden von der Tötung freigesprochen, dafür wird Kronzeuge Yilmaz B. verhaftet.
Publiziert: 22.01.2018 um 12:22 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 02:30 Uhr
«Die Staatsanwaltschaft hat nur eine These gelten lassen»
3:29
Mammut-Prozess in Kümmertshausen:«Die Staatsanwaltschaft hat nur eine These gelten lassen»
Marco Latzer

Der grösste Strafprozess in der Geschichte des Kantons Thurgau endet mit einem Eklat: Die drei Männer einer Drogen- und Schleuserbande, die laut Anklage im November 2010 IV-Rentner Peter G.* (†53) in Kümmertshausen TG umgebracht haben sollen, werden heute vor dem Bezirksgericht Kreuzlingen freigesprochen!

Stattdessen kommt es für die Thurgauer Staatsanwaltschaft zum totalen Desaster: Ihr Kronzeuge Yilmaz B.* (39), der in den Ermittlungen seine Bandenkollegen massiv belastete, wird wegen eventualvorsätzlicher Tötung durch Unterlassung verurteilt! Es ist eine radikale Kehrtwende. Denn wohl auch wegen seiner fragwürdigen Kooperation war B. bloss als Tatgehilfe angeklagt.

Die Staatsanwaltschaft fiel auf ihren Kronzeugen herein

Unmittelbar nach dem Schuldspruch wird Yilmaz B. noch im Gerichtsaal verhaftet. Sichtlich überrascht und erschüttert folgt der Kurde den Ausführungen von Richter Thomas Pleuler: «Sie haben nichts getan und den Tod von Peter G.* in Kauf genommen», wirft ihm dieser vor. Später habe B. versucht, «sich selbst ins beste Bild zu stellen». 

Wer den IV-Rentner effektiv getötet hat, bleibt auch nach dem Monsterprozess offen: «Was im Hause von Peter G. geschah, wird wohl nie mit endgültiger Sicherheit feststehen», stellte Pleuler fest. Denn: Müslüm D.* (53), Ali Osman S.* (47) fuhren zwar im Auftrag von Bandenboss Mustafa N.* (48) zusammen mit Yilmaz B. nach Kümmertshausen, ihre Absichten blieben aber unklar.

Viele Details bleiben offen

Im Prozess deutete vieles darauf hin, dass der Tod von Peter G. nicht beabsichtigt war. Dieser war mit einem Schleuser befreundet, der in Griechenland verhaftet wurde. Als er drohte, die Bande bei der Polizei anzuschwärzen, sollte diese dem Freund nicht finanziell unter die Arme greifen, wurde der eigenwillige IV-Rentner zum Problemfall.

Ein klarer Eliminationsbefehl liess sich vor Gericht nicht nachweisen. Das Opfer wurde gefesselt und geknebelt. Letztlich starb der Mann einen qualvollen Erstickungstod. Dazu kommt: Mit Nurullah D.* und Serkan D.* sitzen zwei der mutmasslichen Haupttäter in der Türkei in Untersuchungshaft. Von Ersterem wurden später DNA-Spuren am Tatort festgestellt. Von den Beschuldigten in Kreuzlingen wollte dagegen niemand am Opfer Hand angelegt haben. Klar war lediglich, dass die angeklagten Männer mehrere Fahrten an den Tatort unternahmen.

Der Kronzeuge liess den Rentner sterben

Weshalb wurde nun ausgerechnet Yilmaz B. verurteilt? Er sah den schlimmen Zustand des Opfers, half Peter G. aber nicht. Als einziger der involvierten Täter hatte er sein Handy zum Tatzeitpunkt ausgeschaltet. Und obwohl er als Polizeispitzel arbeitete, schwieg er über ein Jahr lang zu den Geschehnissen in Kümmertshausen.

Erst als auch gegen ihn ermittelt wird, mutiert der Kurde zum Kronzeugen. B. liefert der Staatsanwaltschaft belastende Aussagen und Motive im Tötungsdelikt. Später wird klar: Die Staatsanwälte Andreas Zuber und Linda S.* hatten sich über neun Stunden mit ihm unterhalten. Ausserhalb des Protokolls und abseits laufender Kameras. Nur dank der Honorarnote seines Verteidigers konnten die Geheimgespräche später nachgewiesen werden.

Gespräche ausserhalb des Protokolls, Staatsanwälte abgesetzt

Die belastenden Aussagen gegen seine Mitstreiter machte Yilmaz B. kurz nach den heimlichen Befragungen mit der Staatsanwaltschaft. Das meiste erwies sich später als falsch oder nicht nachweisbar. Für seine «Hilfe» sollte der Kronzeuge mit einem separaten Verfahren wegen Gehilfenschaft milde abgeurteilt werden. 

Das Urteil musste auf Geheiss des Bundesgerichts wieder aufgehoben werden. Dass die Staatsanwaltschaft Yilmaz B. offensichtlich auf den Leim ging, blieb nicht die einzige Ermittlungspanne: Die verfahrensleitenden Staatsanwälte Zuber und S.* wurden 2015 vom Bundesgericht abgesetzt, weil sie «zahlreiche und teilweise krasse Verfahrensfehler begangen» hatten. Die Ermittler ersetzten den ihnen «unbequemen» Verteidiger des Angeklagten Demir M. kurzerhand durch einen kooperationsfreudigeren Anwalt.

Kümmertshausen wird zum Millionengrab

Ein weiteres Armutszeugnis: Viele der Vorwürfe gegen die insgesamt 14 Angeklagten werden vom Gericht verworfen. Vier von ihnen werden gar komplett freigesprochen. Einige der Vorwürfe sind verjährt, nicht verwertbar, und andere für Schuldsprüche zu wenig fundiert. Am Montag erfolgten nur Schuldsprüche, das Strafmass wird erst zu einem späteren Zeitpunkt eröffnet. Folglich sind die Urteile auch nicht rechtskräftig.

Schon jetzt aber fällt die Bilanz für die Thurgauer Strafermittlungsbehörden katastrophal aus: Sieben Jahre lang lief das Verfahren, während 42 Verhandlungstagen beschäftigte sich das Bezirksgericht mit dem Fall. Dazu kommen Ermittlungs- und Gerichtskosten, die Honorare für Anwälte, allenfalls Entschädigungen für Beschuldigte sowie die Saalmiete und das Sicherheitsdispositiv. Die Kosten dürften in die Millionen gehen! Eine Rechnung, die dereinst der Thurgauer Steuerzahler zu begleichen hat.

Geknebelt und erstickt

Im November 2010 überfallen Mitglieder einer türkisch-kurdischen Drogen- und Schleuserbande IV-Rentner Peter Gubler (†53). Sie überwältigen, knebeln und fesseln ihn. Letztlich erstickt der Mann an einer Kapuzenjacke in seinem Mund. Seit März müssen sich 14 Angeklagte wegen verschiedenster Delikte vor dem Bezirksgericht Kreuzlingen TG verantworten. Über 100 Verhandlungstage sind vorgesehen. Boss Mustafa N.* (47), in der Schweiz offiziell als Asylbewerber gemeldet, soll an Hunderten Menschenschleusungen beteiligt gewesen sein.

Im November 2010 überfallen Mitglieder einer türkisch-kurdischen Drogen- und Schleuserbande IV-Rentner Peter Gubler (†53). Sie überwältigen, knebeln und fesseln ihn. Letztlich erstickt der Mann an einer Kapuzenjacke in seinem Mund. Seit März müssen sich 14 Angeklagte wegen verschiedenster Delikte vor dem Bezirksgericht Kreuzlingen TG verantworten. Über 100 Verhandlungstage sind vorgesehen. Boss Mustafa N.* (47), in der Schweiz offiziell als Asylbewerber gemeldet, soll an Hunderten Menschenschleusungen beteiligt gewesen sein.

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