Skandal um das «Gott hilft»-Heim. Mutter Nathalie F. erzählt.
«Meine Buben mussten sich gegenseitig befummeln»

«Gott hilft» heisst die Stiftung, der Natalie F. ihre Söhne anvertraute. Doch die Kleinen mussten durch die Hölle gehen.
Publiziert: 13.03.2010 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:22 Uhr
Von Gabriela Battaglia und Roman Neumann

Als Pascal und sein Bruder Mario ihr Leben im Puppenspiel darstellen, ist den Fachleuten vom Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst (KJPD) St. Gallen schnell klar, was den Buben passiert ist.

Natalie F.* (35), ihre Mutter, erzählt: «Mit den Puppen kam alles raus: ‹Mami› und ‹Papi› legten sie ins selbe Bett – und sich selbst zusammen in ein anderes. Pascal war damals zehn Jahre alt, sein Bruder Mario neun. Und sie schliefen schon seit Jahren nicht mehr nebeneinander!» Für die Kinderpsychologen ist der Ausgang ihres Experiments ein klassisches Anzeichen für sexuellen Missbrauch.

Noch Anfang Woche wollte das Schulheim Wiesen in Herisau, das wie die Heime in Scharans GR und Zizers GR der Stiftung «Gott hilft» gehört, von sexuellen Übergriffen unter ihren Schützlingen nichts wissen.

«Eine Handvoll Vorfälle»

Vorgestern die halbherzige Kehrtwende: An einer Medienkonferenz gab die Stiftung bekannt: Seit 2003 habe es eine «Handvoll Vorfälle» gegeben. Nicht nur in Herisau, auch in Zizers. Man habe die Vorfälle «professionell behandelt».

Von wegen! Als Natalie F. die Berichte über «Gott hilft» liest, ist sie erschüttert. Sie erinnert sich an die furchtbare Zeit vor sechs Jahren. Sie schildert BLICK das Martyrium ihrer Söhne – und die Reaktion von «Gott hilft».

Mit 22 Jahren ist sie bereits dreifache Mutter; 2004 muss sie ihre Söhne ins Jugendheim Wiesen geben: «Ich verlor für vier Jahre die Obhut über meine Kinder.» Nur am Wochenende dürfen die Buben ihre Mutter sehen. Sie erkennt sie nach kurzer Zeit kaum wieder: «Sie waren ganz verschlossen, haben kaum geredet – ich wusste nicht, was los war!»

Die beiden Buben hassen sich plötzlich

Pascal und Mario hassen sich plötzlich. Das bringt Natalie F. fast um den Verstand. Mehr noch: «Pascal hat angefangen, schlafzuwandeln – das hat er vorher nie gemacht.» Da wendet sich die verzweifelte Mutter an die Kinderpsychologen vom KJPD in St. Gallen. Die beobachten die Buben, lassen sie mit einem Puppenhaus spielen, das ihre Familie darstellen soll.

Nach dem alarmierenden Befund haken die KJPD-Fachleute nach. Stockend bricht es aus Pascal und Mario heraus: Sie erzählen von einem gleichaltrigen Jungen namens Slobodan, der sie im Heim terrorisiere. Er drohe, sie zu verprügeln und seinen Vater gegen ihre Eltern zu hetzen, wenn sie ihm nicht gehorchten.

Natalie F.: «Sie mussten sich gegenseitig am Geschlechtsteil anfassen, sich befummeln.» Ein anderes Heimkind, ein 16-Jähriger, habe Pascal gezwungen, ihn am Penis zu berühren. «Er machte ihn mit Schokolade gefügig», so die Mutter. «Mein Bub liebte Schoggi – jetzt isst er keine mehr.»

Von Anzeige abgeraten

«Ich war total schockiert», sagt Natalie F. Der KJPD meldete einen der Vorfälle bei der Heimleitung. Bis heute habe sie von «Gott hilft» nur gehört, Slobodan sei in ein anderes Heim verlegt worden. Man habe ihr nahegelegt, nichts weiter zu unternehmen, keine Anzeige zu erstatten. Das sei für die Buben zu belastend. Natalie F.: «Ich fühlte mich machtlos.»

Heute leben Pascal und Mario wieder daheim. Sie leiden immer noch. Wegen «gestörten Aggressionsverhaltens» müssen sie zur Psychoanalyse. Natalie F.: «So etwas darf nie mehr einem andern Kind passieren!»

Die Stiftung «Gott hilft» trat gestern die Flucht nach vorn an: Ein externes Team soll die Vorfälle untersuchen. Und es gibt jetzt ein Nottelefon für Opfer.

* Namen der Redaktion bekannt

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