Im Prozess um heute 28-jährige Cassandra D.*, die im Dezember 2015 in Hemmental SH ihren Vater Rolf B.* erstochen haben soll, hat der Ankläger am Dienstag vor dem Obergericht Schaffhausen auf eine Verurteilung wegen Mordes gepocht. Der Verteidiger warnte vor einem «fatalen Fehlurteil» - seine Mandantin sei freizusprechen.
Das Obergericht wird sein Urteil am späten Mittwochnachmittag eröffnen. Es muss sich, wie schon das Kantonsgericht als erste Instanz, auf Indizien stützen. Augenzeugen der Tat gibt es nicht, ein Teilgeständnis zog die Beschuldigte Schweizerin Cassandra D. nach einem halben Jahr zurück.
Gericht führte Indizienprozess
Die Indizien müssten nicht einzeln überzeugen, sagte der Staatsanwalt. Wichtig sei, dass sie in ihrer Gesamtheit zusammen passten wie Mosaiksteine und ein klares Bild ergäben. Dies sei vorliegend der Fall.
An jenem späten Dezemberabend 2015 waren Cassandra D. und ihr Ehemann Kenan D.* nach den Flitterwochen unerwartet zu ihren Eltern in die Wohnung im Schaffhauser Ortsteil Hemmental gekommen. Während die Mutter im Bad und die Tochter auf der Toilette war, gingen die beiden Männer mit Messern aufeinander los. Und auch unter den beiden Frauen kam es vor der Tür zum Wohn-Esszimmer, wo der Kampf stattfand, zu einem Handgemenge.
Als ihr Mann Kenan D. um Hilfe rief, griff laut Anklage die junge Frau ein und versetzte ihrem Vater Rolf B. von hinten bis zu 49 Stiche in Rücken, Hals und Nacken, die den Tod des Mannes bewirkten. Insgesamt stellten die Gerichtsmediziner 55 Messerstiche an der Leiche fest. Der 56-jährige verblutete. Aber auch der Schwiegersohn erlag seinen Verletzungen.
Weder Geständnis noch Augenzeugen
Die Mutter war inzwischen ins Treppenhaus gelaufen und hatte um Hilfe geschrien. Ein Nachbar - Götti der Beschuldigten - hatte aufgrund des Lärms bereits die Polizei gerufen.
Wie schon vor Kantonsgericht wies die Beschuldigte jede Schuld am Tod ihres Vaters von sich. Es sei ihr Ehemann gewesen, der ihm die tödlichen Verletzungen zugefügt habe.
Dies sagte auch ihr Verteidiger. Er rügte zudem die Arbeit sämtlicher an den Ermittlungen beteiligter Stellen sowie die Anklageschrift. Sie enthalte «gravierende Fragezeichen und Widersprüche«.
Er forderte einen Freispruch seiner Mandantin vom Mordvorwurf. Für andere, geringfügige Delikte sei die Beschuldigte mit bedingtem Freiheitsentzug von sechs Monaten und einer 500-Franken-Busse zu bestrafen. Da sie bereits seit mehr als 920 Tagen in Untersuchungs- und Sicherheitshaft sitze, sei sie umgehend zu entlassen und für die überzähligen Hafttage zu entschädigen.
Staatsanwalt: Gericht soll beim Urteil bleiben
Der Staatsanwalt forderte eine Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils. Dieses hatte die junge Frau im Juni 2017 zu einer Freiheitsstrafe von 16,5 Jahren verurteilt - anderthalb Jahre mehr als der Ankläger gefordert hatte. Auch die erstinstanzlich ausgesprochene bedingte Geldstrafe von 60 Tagen zu 30 Franken sowie die Busse von 500 Franken seien zu bestätigen.
Die Mutter der Beschuldigten trat vor dem Obergericht als Auskunftsperson auf. Vor der ersten Instanz war sie noch Privatklägerin gewesen, die ihre Tochter beschuldigt hatte. Inzwischen hat sie aber ihre Klage zurückgezogen. Sie brachte hauptsächlich Entlastendes zu Gunsten der Beschuldigten vor.
Diese sei nie und nimmer im Stande, eine derartige Gewalttat zu verüben, sagte sie. Schon gar nicht hätte sie die Hand gegen ihren innig geliebten Vater erheben können. Es sei ihre Aufgabe «mein unschuldiges Kind» zu retten.
Die Beschuldigte erschien ganz in weiss gekleidet, die tailenlangen schwarzen Haare wie ein Vorhang über Schultern und Rücken fliessend. Der Verhandlung folgte sie gefasst, wischte nur hin und wieder schniefend eine Träne weg.
In ihrem Schlusswort sagte sie, das alles sei «sehr sehr heavy für mich». Ihr Vater habe ihr kein Haar gekrümmt, und «ich habe meinem Vater kein Haar gekrümmt", beteuerte sie. (SDA)
* Namen der Redaktion bekannt