Die Gratulation zu seiner bestandenen Prüfung als Fachmann Betreuung im Sommer 2015 ist noch immer auf der Webseite von Fiorino zu sehen. In der St. Galler Kindertagesstätte arbeitete René W.* (33) während der Ausbildung und mit einem kurzen Unterbruch bis zu seiner Verhaftung.
Im Umgang mit den Kindern sei er herzlich gewesen, berichten Kolleginnen aus der Kita, aber auch Eltern, die ihn kannten. Es war ihm wichtig, professionell zu wirken, öffentlich bekämpfte er Vorurteile gegen Betreuer.
«Was immer wir tun, wir stehen unter Beobachtung», sagte W. etwa im Sommer 2014 gegenüber Radio SRF: «Die Türen beim Wickeln bleiben deshalb immer offen.»
W. kam im Juli 2018 wegen des Verdachts in Haft, Kinderpornos über das Internet zu verbreiten. Sein Arbeitsplatz in der St. Galler Kita und seine Wohnung wurden durchsucht. Auf sichergestellten Computern, externen Festplatten und anderen Datenträgern fanden sich Hunderttausende Bilder und Videos, Zehntausende davon waren Kinderpornos.
Am Ende stellten die Beamten fest: W. hatte nicht nur verbotenes Material getauscht, sondern auch selbst hergestellt – in mindestens vier Fällen, wie die Staatsanwaltschaft St. Gallen am Donnerstag bekannt gab.
Er drehte den Missbrauch von zwei verschiedenen Jungen im Babyalter, ein Film entstand an seinem Arbeitsplatz in der St. Galler Kita. Ausserdem machte er an seinem Arbeitsplatz «sexuell motivierte Fotoaufnahmen» von zwei weiteren Jungen.
Die Spur führte ins Darknet
Einige der Bilder soll er über den anonymen Teil des Internets weiterverbreitet haben, das sogenannte Darknet. Über verdeckte Ermittlungen dort kam ihm die St. Galler Polizei schliesslich auf die Spur.
SonntagsBlick weiss: Polizisten verschaffen sich Zugang zu geschlossenen Pädophilen-Netzwerken, indem sie das Profil eines überführten Täters übernehmen. Haben sie sich einmal erfolgreich in eine solche Gruppe eingeschleust, kommunizieren sie mit den Teilnehmern. So gelangen sie an Informationen zur Identität weiterer Täter.
Nachdem für W. die Falle zugeschnappt hatte, mussten die Ermittler in mühsamer Kleinarbeit mehrere Hunderttausend Bilder sichten und filtern. Dabei stiessen sie auf seine selbst hergestellten Kinderpornos.
«Mit den betroffenen Eltern sind wir in Kontakt», sagt Beatrice Giger, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft St. Gallen. Derzeit laufen die Befragungen – «auch der Beschuldigte konnte noch nicht zu allen vorgeworfenen Tathandlungen befragt werden».
Knapp 100 Eltern der Kita Fiorino wurden am Donnerstagabend in einer kurzfristig einberufenen Versammlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit von den Verantwortlichen informiert.
Gab es noch weitere Taten?
SonntagsBlick hat mit mehreren Müttern gesprochen, die dabei waren, auch solchen, deren Kleinkinder von W. betreut worden sind. Sie schilderten die Ohnmacht und die Unsicherheit unter den Eltern: «Niemand kann garantieren, dass nicht noch weitere Kinder Opfer von W. wurden», sagt etwa Daniela R.* Alle fragten sich nun, ob noch weitere Taten bekannt würden. W. hat bisher kein umfangreiches Geständnis abgelegt.
Auch Bettina Zimmermann von der Kita Fiorino hat am Donnerstagabend an der Elterninformation teilgenommen: «Die Stimmung war ruhig und emotional, die Unsicherheit der Eltern deutlich spürbar», schildert sie die Zusammenkunft.
Eltern zeigten sich darüber besorgt, dass Kita-Mitarbeitende regelmässig mit Kindern allein seien. Anders sei dies in der Kinderbetreuung aber weder vorgesehen noch überhaupt möglich, erklärt Kita-Sprecherin Zimmermann die Situation bei der täglichen Arbeit: «Wenn etwa eines der Kinder aufs WC muss, kann es vorkommen, dass die Kinder mit den Betreuern allein sind.»
Stattdessen müssten Kitas die Möglichkeit haben, das Umfeld eines Mitarbeiters und ihn selbst vertiefter zu durchleuchten. Heute wird etwa der Sonderprivatauszug eines Bewerbers aus dem Schweizer Strafregister verlangt – auch bei René W. wurde dies getan. Doch in seinem Fall war das Dokument von 2017 ohne Eintrag, wie die Verantwortlichen der St. Galler Kita betonen.
Zurück bleiben die Eltern, die ihre Kinder weiter in die Kita schicken – ihr ungutes Gefühl, ihre Hilflosigkeit: «Die Experten vom Kinderschutz rieten uns, unser Kind zu beobachten und darauf zu schauen, ob es sich auffällig verhält», sagt eine der Mütter.
«Doch welche Zeichen sollen das sein?»
* Namen geändert