Ausgerechnet der angesehene Ostschweizer Psychiater Roland L.* (†72) scheint von seinen Problemen derart überfordert zu sein, dass er nur noch den einen, tödlichen Ausweg sieht (BLICK berichtete). Thomas Knecht (61), Leiter der forensischen Psychiatrie im Kanton Appenzell Ausserrhoden, kannte Berufskollege Roland L. nicht persönlich, erkennt im Ehedrama von Jonschwil SG aber gleich mehrere typische Muster.
BLICK: Herr Knecht, warum lässt sich gerade ein erfahrener Psychiater wie Roland L. zu so einer Wahnsinnstat hinreissen?
Thomas Knecht: Leider schützt die Arbeit als Psychiater nicht vor so einer Tat. Im Gegenteil, es ist statistisch belegt, dass das Suizidrisiko in unserem Job rund siebenmal höher ist.
Wie lässt sich das erklären?
Zum einen ist da die Dauerbelastung im Beruf. Doch es ist praktisch nie die Arbeit allein, die zu so einer Eskalation führt. Auch im Fall von Jonschwil muss man davon ausgehen, dass die Kombination mit privaten Problemen das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Passt die Tat also aus wissenschaftlicher Sicht in bekannte Muster?
Es lassen sich zumindest typische Gesetzmässigkeiten erkennen. Der Ex-Chefarzt war mittlerweile pensioniert, lebte aber an der Seite einer viel jüngeren Frau. Nicht selten kann man in solchen Fällen beobachten, wie beim Mann Eifersucht und Minderwertigkeitsgefühle auftreten. Der Verlust des beruflichen Status kann einen regelrechten Pensionierungsschock auslösen. Im schlimmsten Fall endet das in so einem tragischen Finale.
Indizien sprechen dafür, dass Roland L. sein Vorgehen schon länger geplant hat.
Eine spontane Tat war das kaum. Ein ehemaliger Kinderpsychiater ist normalerweise nicht der Typ, der eine Waffe im Haus hat. Für L. muss sich abgezeichnet haben, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Gerade Männer versuchen dann nicht selten, alles mit in den Abgrund zu ziehen.
Hat L. darum auch das Haus abgefackelt?
Die gemeinsame Tochter war glücklicherweise nicht im Haus, und auch die Frau konnte rechtzeitig gehen. Gut möglich, dass das Haus stellvertretend für sie zerstört wurde. Für L. selber gab es irgendwann keinen Weg mehr zurück. Das Drama musste für ihn im Tod enden.
So viel Verzweiflung deutet auf grosse psychische Probleme hin. Warum fand der erfahrene Psychiater kein Mittel dagegen?
Eine solche Selbsttherapie ist praktisch unmöglich. Aussichtsreicher wäre es gewesen, sich einem Kollegen anzuvertrauen. Hinzu kommt: Wenn es wirklich Probleme gab in der Beziehung zu seiner Partnerin, hätten die wohl auch nicht durch das psychiatrische Fachwissen von L. gelöst werden können. Genau diese Ohnmacht und Ratlosigkeit ist es, welche die Verzweiflung bis auf die Spitze treiben kann.
* Name geändert
Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in Krisen und für ihr Umfeld da:
- Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143 www.143.ch
- Beratungstelefon von Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147 www.147.ch
- Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch
Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben
- Refugium – Verein für Hinterbliebene nach Suizid: www.verein-refugium.ch
- Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils: www.nebelmeer.net
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