Luigi S. war im Mafia-Prozess angeklagt
Der Schweizer Pass hat ihn gerettet

Luigi S. war einer von 18 Angeklagten im Frauenfelder Mafia-Prozess. Seinem Verteidiger gelang jetzt in Italien die Einstellung des Verfahrens.
Publiziert: 04.11.2018 um 18:35 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2018 um 19:49 Uhr
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Luigi S. mit seinem Anwalt Stefan La Ragione (r.): Luigi S. traf sich regelmässig mit der Frauenfelder Mafia-Zelle. Ein Gericht in Italien sprach ihn nun frei, ein zweites Verfahren in der Schweiz ist nach wie vor pendent.
Foto: Claudio Meier
Cyrill Pinto

Die Bilder aus dem Boccia-Club gingen um die Welt: Bei der Zusammenkunft in Wängi TG sprachen Mafiosi von Drogen und Erpressung. 2014 veröffentlichte die italienische Polizei die Bilder, die Gruppe war damit enttarnt. Die meisten Teilnehmer des Treffens sitzen inzwischen in Haft, fünf wurden bereits verurteilt.

Für einen allerdings ging die Sache gut aus: Nachdem Luigi S.* (65) aus Frauenfeld lange im Ungewissen lebte, hat ihn das Strafgericht in Reggio Calabria jetzt freigesprochen, der Haftbefehl gegen ihn wurde aufgehoben.

«Da der Angeklagte nicht ausgeliefert werden kann, kann er nicht in Italien verurteilt werden», heisst es in der Begründung. Luigi S. ist mit einer Schweizerin verheiratet und besitzt daher einen Schweizer Pass. Seine italienischen Papiere warf er auf Anraten seines Anwalts Stefan La Ragione (57) weg – damit konnte ihn die Schweiz nicht mehr ausliefern.

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gibt Gespräche von ­Luigi S. mit den Mafiosi der Frauenfelder Zelle wieder. Über die Treffen im Boccia-Club von Wängi, die bis zum Auffliegen der Gruppe stets am Samstag stattfanden, sagt er: «Ich war der Picciotto am Tisch (unterster Rang in der Mafia; Red.), habe mich nicht in Dinge eingemischt, die dort besprochen wurden. Vieles wurde unter vier Augen gesagt.» Er sei nur über seine Leidenschaft fürs Jassen hineingeraten.

«Der Sugo war besser als zu Hause»

Als ihm klar wurde, dass es sich um eine Mafiazelle handle, sei es zum Aussteigen zu spät gewesen. Auch war das Essen dort sehr gut: «Der Sugo (Tomatensauce; Red.) dort war besser als zu Hause», sagte Luigi S. aus – und entschuldigte sich zugleich bei seiner Frau. Mit dem Entscheid aus Ita­lien fällt eine grosse Last von Luigi S.

«Die Ungewissheit hat mich zermürbt», sagt er im Gespräch mit SonntagsBlick. Hinzu kamen die hohen Kosten wegen des langwierigen Verfahrens. Mehrmals musste sein Rechtsvertreter nach Kalabrien reisen, um den Prozess dort zu verfolgen und seinen Mandanten zu verteidigen.

Drohungen aus dem Umfeld der in Haft sitzenden Mitglieder der Frauenfelder Zelle kamen hinzu – vor allem gegen Anwalt La Ragione. Gegen mehrere Angeklagte läuft der Prozess in erster Instanz, drei haben unterdessen einer Verurteilung zugestimmt, zwei wurden in zweiter Instanz verurteilt.

Ein Leben in Angst

«Wir werden dich schon noch erwischen», liessen sie ausrichten. Der in Frauenfeld wohnhafte pensionierte Gabelstapelfahrer lebt, wie er sagt, in ständiger Angst.
Mit dem Urteil aus Italien ist zudem erst ein Teil der Anklage gegen ihn erledigt. Denn auch die Schweiz eröffnete 2013 ein Verfahren. Laut Bundesanwaltschaft geht es dabei um den Verdacht auf Mitgliedschaft respektive Unterstützung ­einer kriminellen Organisation.

Luigi S. weiss davon erst seit dem Frühling dieses Jahres. Mittlerweile ist ihm klar, dass die Ermittler des Bundes auch seine Familie durchleuchtet haben – offenbar ergebnislos: Die Bundesanwaltschaft eröffnete lediglich gegen ihn ein Verfahren, liess es jedoch bis zum Entscheid in Italien ruhen. Nach dem Freispruch wurde es wiedereröffnet, wie die Bundesanwaltschaft auf Anfrage mitteilt: «Das Verfahren wurde nach Wegfall des ­Sistierungsgrundes bereits wieder an die Hand genommen.»

Auch wenn noch nicht alles ausgestanden ist, blickt Familie S. dem Verfahren in der Schweiz gelassen entgegen: Im Höchstfall ist – anders als in Italien – eine Strafe von fünf Jahren zu erwarten. Anwalt La Ragione ist zuversichtlich: «Das Verfahren in der Schweiz wird im Vergleich zu dem in Italien ein Spaziergang.» Vielleicht darf Luigi S. danach sogar in seine frühere ­Heimat reisen: «Ich möchte einfach wieder ein normales Leben führen.»

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