Kinderarzt Markus Weissert (73) hat 30 Jahre lang unzählige Kinder aus der Ostschweiz behandelt. Und er stellt vor allem eines fest: Kinder werden immer kurzsichtiger, ungeschickter und übergewichtiger, wie er dem «St. Galler Tagblatt» sagt.
Weissert hat die Neuropädiatrie am Kinderspital St. Gallen aufgebaut. Sein Spezialgebiet waren die Nervenleiden von Kindern. Im Laufe der Jahre fiel ihm auf, dass Kinder Mühe mit der Motorik haben. Viele Kinder taten sich schwer damit, einen Stift in der Hand zu halten, eine Wurst zu braten oder über einen Baumstamm zu balancieren. Viele Kinder müssen sich deshalb diese motorischen Fähigkeiten mühsam in Therapien aneignen.
Synapsen-Bildung leidet bei Kindern
Der Neurologe ist sich sicher: «Kinder machen zu wenige Sinneserfahrungen und verbringen zu viel Zeit drinnen.» Das Aneignen und Trainieren von solchen Fähigkeiten ginge nirgendwo so gut wie in der Natur. Dort spüre man den Duft einer Rose in der Nase oder das feuchte Moos unter den Fusssohlen.
«Solche Impulse sind elementar fürs Kind, vor allem in der sensomotorischen Phase in den ersten Lebensjahren», sagt der Arzt zur Zeitung. Bevor man den Kindern also ein Smartphone in die Hand drücke, sollten sie reelle Erfahrungen machen.
Solche Sinneserfahrungen seien wesentlich, da sich dabei die entscheidenden Vernetzungen zwischen den Nervenzellen im Gehirn, sogenannte Synapsen, bilden. Stimmungen, Berührungen, Gerüche, das alles präge sich dabei ein.
«Biodiversität macht Schule»
Um den Kindern von heute diese Sinneserfahrungen zu ermöglichen, möchte der ehemalige Arzt die Pausenplätze der Stadt St. Gallen zum Blühen bringen. Weissert gehört zudem zu den Triebkräften des WWF-Projekts «Biodiversität macht Schule».
Grüne Schulhäuser und Kindergärten sollen dabei prämiert werden. «Wir wollen die Leistungen von Schulen, die ihre Umgebung naturnah gestalten, anerkennen und damit andere zur Nachahmung motivieren.» Denn Grünflächen tragen massgeblich zur menschlichen Entwicklung und Gesundheit bei.
Grünflächen sind eine Frage von sozialem Status
Grüne Umgebungen hätten durchaus positive Auswirkungen auf Kinder: Kinder seien im Grünen ruhiger und aufmerksamer. Weissert weist im «St. Galler Tagblatt» auch auf eine Studie aus Chicago hin, gemäss welcher es in grüneren Stadtquartieren weniger Kriminalität gibt.
Grünflächen seien jedoch auch eine Frage des sozialen Umfelds: Je privilegierter die Menschen, desto mehr Grünflächen hätten sie. Markus Weissert setzt sich deshalb dafür ein, allen Kindern die Natur zugänglicher zu machen. Ein guter Anfang für dieses Vorhaben seien dabei die Schulhöfe. (dzc)