Jonathan D.* (†24) war gelernter Zimmermann. Aber das Herz des Belgiers gehörte der Natur. Seit drei Jahren arbeitete er in der Schweiz als Canyoning-Führer. Am Sonntagmittag begleitet er seine Gruppe in die Fallenbach-Schlucht bei Amden SG. Jonathan D. ist für die Alpinschule Tödi unterwegs. Ein Anbieter aus Kaltbrunn SG, der seit 15 Jahren Canyoning-Ausflüge durchführt.
Die Tour im Fallenbach gilt als «Geniessertour», ist auch für Anfänger geeignet. Doch am Sonntag läuft nichts wie sonst. Kurz nach 16 Uhr steigt das Wasser im Bach plötzlich dramatisch. Auch eine andere Gruppe von Abenteuersportlern gerät in tödliche Gefahr. Stefan Fischer (42), Inhaber von Fischer Adventures aus Ermenswil SG: «Mein Guide rief mich an. Er sagte: ‹Wir brauchen Hilfe. Wir kommen nicht mehr raus. Es hat zu viel Wasser.› Ich habe gleich das Seil gepackt und bin direkt nach Amden geeilt.»
Fischers fünfköpfige Gruppe kauert sich auf einem Felsvorsprung zusammen. Er fängt mit einem Helfer an, die Touristen mit einem Seil zu retten. Die Rega fliegt an, die Lage scheint unter Kontrolle. Doch der Schrecken fängt für Fischer erst an. «Plötzlich kam eine Frau. Vom Konkurrenzanbieter. Sie sagte, sie finde ihre Gruppe nicht mehr.»
Es geht um Leben und Tod
Fischer läuft sofort los. Flussaufwärts. Ein kleiner Suchtrupp bildet sich. Es geht um Leben und Tod. «Es wurde immer dunkler. Wir haben gepfiffen, aber niemand hat uns geantwortet. Wir haben kaum etwas gesehen. Es war auch für uns extrem gefährlich. Wir mussten uns immer wieder abseilen, um in die Schlucht zu kommen und dort zu suchen», erzählt Fischer. «Jemand aus der Suchtruppe hat dann endlich eine Person erkennen können.»
Die Rega holt die Verunglückten mit einer Seilwinde aus der Todesfalle. «Die Vermissten waren völlig unterkühlt und standen unter Schock», sagt Fischer. «Fünf Leute konnten wir so retten. Wir dachten, wir hätten alle!» Erst später, um 22.10 Uhr, hören die Helfer, dass zwei Menschen in den Fluten des Fallenbach geblieben sind. Jonathan D. und eine deutsche Touristin (23) aus Rostock.
Die beiden können nur noch tot geborgen werden. «Die, die überlebt haben, hatten riesiges Glück», meint Fischer. «Sie hätten genauso gut an eine Stelle gespült werden können, an der es kein Entkommen aus dem Wasser gab. Es hatte so viel Wasser. Jede Stimme, jeder Hilferuf wurde vom Tosen erstickt.» Aber warum stiegen die Canyoning-Gruppen überhaupt in den Fallenbach? Das Wetter am Sonntag war schlecht, es regnete.
«Vorläufig keine Canyoning-Touren mehr»
«Die Daten, die wir hatten, waren alle im grünen Bereich», sagt Fischer. «Ich glaube, dass ein zusätzlicher Wasserspeicher unten im Höhlensystem aufgerissen wurde. So wurde der Fallenbach zum reissenden Strom. In nur dreissig Minuten ist das Wasser um mehrere Meter gestiegen.» Anders sieht das Thomas Exposito (25), Geschäftsführer von Amden & Weesen Tourismus: «Die Veranstalter haben die Lage und das Risiko falsch beurteilt. Sie sind zu spät losgegangen, ausserdem war das Wetter zu schlecht. Das war alles falsch gemacht.»
Exposito zieht nun für Amden-Tourismus die Konsequenzen. «Wir werden vorläufig keine Canyoning-Touren mehr anbieten. Das Risiko ist einfach zu gross.» Die Staatsanwaltschaft St. Gallen hat ein Strafverfahren gegen unbekannt eröffnet. Wegen fahrlässiger Tötung.