Notendruck, Terminstress, Reizüberflutung – schon Primarschüler leiden an Burnout
Wenn Kinder einfach nicht mehr können

Wenn Kinder am Anschlag sind: Ein Schock-Report zeigt, dass jetzt bereits Primarschüler an Burnout erkranken. Grund dafür sind ehrgeizige Eltern, Notendruck oder Terminstress.
Publiziert: 08.02.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 16:37 Uhr
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Diagnose Burnout: Das Managerleiden ist in der Primarschule angekommen (Symbolbild).
Foto: Getty Images
Von Deborah Lacourrège

Er ist erst zehn, doch sein Terminkalender ist so prall gefüllt wie der eines Managers: Nico* aus Zürich geht zur Schule und drei Mal pro Woche in den Tennisunterricht. «Er hat so viel Potenzial», sagen seine Eltern. Nico bekommt Nachhilfe in Französisch. Und – um ihn musisch zu fördern – auch noch Schlagzeugstunden.

Seine Eltern waren überzeugt: Sie tun ihrem Sohn etwas Gutes. Sie wollten ihn optimal unterstützen, damit er in zwei Jahren den Übertritt ins Gymnasium schafft – und danach studieren kann. Doch dann kam alles anders: Nico mochte nicht mehr Tennis spielen, ass kaum noch, seine Noten wurden immer schlechter.

«Wir wussten nicht, was los ist», sagt seine Mutter. Die Eltern wollen anonym bleiben. Zu gross ist die Angst, dass Nico in der Schule ausgelacht wird. Die Mutter: «Den Stempel Burnout bringt man so schnell nicht wieder weg.»

Denn der Schulpsychiater stellte fest: Nico leidet an einer Erschöpfungsdepression, besser bekannt unter dem Begriff Burnout. Das Managerleiden ist in der Primarschule angekommen.

«Seit zwei Jahren erkranken immer mehr Grundschüler», sagt der deutsche Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort (58) im Interview (rechts). Er schätzt, dass eines von 60 Kindern an Burnout leidet.

Bei einer Befragung im Auftrag der WHO gab jeder dritte Schweizer Schüler an, an Stresssymptomen zu leiden. Sie klagten über Bauchschmerzen oder Schlafstörungen. Die Folgen zeigt ein bisher unveröffentlichter Bericht des Bundes zur psychischen Gesundheit: 4,4 Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden an einer depressiven Störung.

Andreas Diethelm (52) arbeitet in Zürich als Burnout-Coach. Auch seine Patienten werden immer jünger. «Die Gesellschaft hat an kleine Kinder eine grosse Erwartungshaltung», sagt Diethelm. Sie lernten sehr früh, sich auf ihre Zukunft zu fokussieren – und setzen sich selber unter Druck. «Deshalb fördern die Eltern sie in Fächern, die sie in der Schule noch gar nicht haben.»

Übereifrige Eltern, überforderte Kinder: Lehrer stehen vor immer grösseren Herausforderungen. Jürg Brühlmann, der im Lehrerverband LCH die Pädagogische Arbeitsstelle leitet: «Private Nachhilfe und der Druck auf Lehrpersonen wegen Schulnoten hat deutlich zugenommen.» Brühlmann rät Lehrern, Auffälligkeiten früh mit den Eltern zu besprechen. «Zu viel Leistungsdruck kann sich auch in Unruhe oder Unaufmerksamkeit äussern.»

Nico ist heute in Behandlung bei einem Psychologen. Der hilft ihm und der Familie, nach den Ursachen für seine Erschöpfungs­depression zu suchen – und einen Gang herunterzuschalten. «Mittlerweile ist es für uns auch in Ordnung, wenn er die Sek A besucht», sagt die Mutter. Die Französisch-Nachhilfe ist gestrichen, ebenso der Tennisunterricht. Nico soll nur tun, was ihm wirklich Spass macht.

Dazu der Burnout-Coach Andreas Diethelm: «Qualität statt Quantität – das gilt auch bei Hobbys.»

*Name geändert

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