Die zweite Welle ist da – und hat die Schweiz fest im Griff. Jetzt reagiert der Bundesrat mit Einschränkungen.
Nachdem monatelang jeder Kanton sein eigenes Süppchen gekocht hat, wird nun durchgegriffen. Für heute Sonntag, 11 Uhr, hat Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60) eine Notsitzung angeordnet.
Die neuen Corona-Regeln sind einschneidend – und doch weniger drastisch als von vielen erhofft. Das öffentliche Leben in der Schweiz soll weitergehen, der Wirtschaft keine wirkliche Einschränkung zugemutet werden.
Und das steht im Entwurf «Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie», in den SonntagsBlick Einsicht hatte: Die Maskenpflicht wird ausgeweitet, Beschäftigte sollen wie im Frühjahr verstärkt von zu Hause aus arbeiten – und Anlässen mit Familien und Freunden sind enge Grenzen gesetzt. Ein zweiter Lockdown soll aber vermieden werden.
Die Grundregel der neuen Massnahmen: Alles, wofür es ein Schutzkonzept gibt, bleibt erlaubt. Alles, was spontan stattfinden könnte, wird verboten.
Die Frage ist: Reichen diese Regeln? Die Lage ist schliesslich ernst. Sie hat sich um einiges verschärft: Am Freitag meldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) 3105 Neuinfektionen – mehr als doppelt so viele wie auf dem Höhepunkt der Epidemie im Frühjahr. In zwei Wochen könnten es 12'000 pro Tag sein, fürchtet Martin Ackermann (49), Präsident der Schweizer Corona-Task-force.
Die Genfer Epidemiologin Isabella Eckerle (40) sieht die Schweiz diesbezüglich aktuell zwischen Deutschland und Frankreich – unsere französischen Nachbarn leben seit Mittwoch wieder im Gesundheitsnotstand, für Paris und weitere Metropolen gilt eine nächtliche Ausgangssperre, die Spitalbetten sind schon jetzt teilweise knapp.
Die neuen Schweizer Regeln finden denn auch breite Unterstützung in den Departementen. Auch das Wirtschaftsdepartement von Guy Parmelin (60) stellt sich hinter die allermeisten Einschränkungen, wie Quellen aus Bundesbern vermelden. Einzig Finanzminister Ueli Maurer (69) will keine neuen Corona-Regeln – mit dieser Haltung steht der SVP-Mann allerdings allein auf weiter Flur.
Wie kommt der Bundesrat auf die neuen Regeln?
Als Vorbild gilt das «Genfer Modell». Im Corona-Hotspot der Romandie sind private Anlässe schon seit Mitte August streng reguliert. Vergangene Woche zog der neben Schwyz von Corona am meisten betroffene Kanton nochmals die Zügel an: spontane Versammlungen höchstens mit 15 Personen, Bewilligungspflicht für Veranstaltungen mit grösserer Teilnehmerzahl, Maskenpflicht in allen öffentlich zugänglichen Räumen.
Wo muss ich Maske tragen?
Der Entwurf der bundesrätlichen Corona-Verordnung sieht vor: in allen öffentlichen Räumen. Also nicht nur in Läden und beim Coiffeur, sondern auch in Bahnhöfen, Restaurants und in Museen. Zudem bei privaten Veranstaltungen ab 15 Personen. Lediglich beim Essen und Trinken am Tisch darf die Maske abgenommen werden.
Gilt die Maskenpflicht auch für Leute mit Attest?
Nein. Wie bisher sind Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nase-Schutz tragen können, von der Pflicht ausgenommen.
Wie wird die Maskenpflicht bei privaten Anlässen kontrolliert?
Es gibt keine systematischen Kontrollen. Die Politik setzt auf Eigenverantwortung und sieht hartnäckige Maskenverweigerer nicht als grosses Problem. Die Menschen hätten sich mittlerweile weitgehend an den Mund-Nase-Schutz gewöhnt.
Muss ich wieder im Homeoffice arbeiten?
Der Entwurf der neuen Covid-Verordnung sieht eine dringliche Empfehlung fürs Homeoffice vor. So war es schon während des Lockdowns. In diesem Punkt jedoch meldet das Wirtschaftsdepartement Bedenken an. Trotzdem dürfte die Empfehlung eine Mehrheit in der Landesregierung finden.
Werden Läden und Restaurants wieder geschlossen?
Nein. Aber es herrscht überall Maskenpflicht – ausser beim Essen oder Trinken selbst. Faustregel: Wer sitzt, braucht keine Maske. Je nach Grösse des Betriebs ist die Personenanzahl eingeschränkt.
Darf ich in meiner Freizeit Fussball spielen?
Kommt drauf an. Spontanes Kicken mit mehr als 15 Teilnehmern wird wohl untersagt, weniger als 15 Personen dürften kein Problem sein. Hauptsorge: das schnell überlastete Contact Tracing. Zudem haben auch Events im Aussenbereich in den vergangenen Monaten zur Verbreitung des Virus beigetragen. Organisierte Sportveranstaltungen, zum Beispiel regionale Fussballspiele oder Unihockey im Verein, bleiben unter Einhaltung der geltenden Schutzkonzepte erlaubt. Auf Spielplätzen dürfen sich maximal 15 Personen aufhalten.
Sind Casinos, Fitnessstudios und Museen geöffnet?
Betriebsschliessungen sind derzeit nicht geplant. Allerdings gelten strenge Schutzmassnahmen wie Einlass-Stopps und Maskenpflicht. Eine Ausnahme bilden Fitnessstudios und sonstige Trainingssituationen, mit denen eine Maskenpflicht nicht vereinbar wäre. Zudem müssen die Betreiber jederzeit sicherstellen, dass die Kontaktdaten erfasst werden.
Sind Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen erlaubt?
Schon ab 100 Personen dürfen Veranstaltungen – auch privater Natur – nur noch in öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben wie etwa Restaurants durchgeführt werden. Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen sollen erlaubt bleiben, sofern die Veranstalter ein genehmigtes Schutzkonzept vorweisen können und die Besucher in Sektoren von maximal 100 Personen (bisher: 300) einteilen. Je nach Corona-Lage können die Kantone aber Grossveranstaltungen untersagen.
Darf ich noch protestieren gehen?
Bewilligte Demonstrationen dürfen weiterhin stattfinden. Bei unbewilligten Demonstrationen soll härter durchgegriffen werden.
Werden wieder Schulen geschlossen?
Entwarnung für alle besorgten Eltern: Homeschooling ist derzeit keine Option. Die Schulen bleiben weiterhin geöffnet. An Universitäten und weiterführenden Schulen soll es wie bislang vor allem Fernunterricht geben. Der Präsenzunterricht muss auf ein Minimum reduziert werden.
Bleiben Klassenlager erlaubt?
Das ist noch unklar. Im Kanton Genf sind sie während des gesamten Schuljahrs 2020/21 verboten. Eintägige Reisen auf Primarstufe sind erlaubt. Schulreisen auf höheren Stufen sowie Klassenlager wurden hingegen untersagt. Orientiert sich der Bundesrat komplett am Vorbild Genf, dürfen auch in der restlichen Schweiz keine Klassenlager mehr durchgeführt werden. Im Kanton Aargau mussten nach einem Schullager im September 130 Schüler in Quarantäne.
Darf ich meine Enkelkinder hüten?
Das Bundesamt für Gesundheit vollzieht in diesem Punkt gerade eine Kehrtwende. Ende April sagte der damalige Mr. Corona Daniel Koch (65), Grosseltern dürften ihre Enkel umarmen. Über Monate behielt das BAG diese Linie bei. «Mit den steigenden Fallzahlen sind ältere Personen wieder höheren Risiken ausgesetzt», warnte Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle beim BAG, nun aber am Freitag. Grosseltern müssten selbst entscheiden, ob das Risiko tragbar sei.
Ist die Gesundheitsversorgung gefährdet?
Aktuell nein. Lediglich der Kanton Schwyz kämpft mit einem Engpass. Im Vergleich mit der ersten Welle hat sich unter anderem die Covid-19-Behandlung verbessert. Die leeren Spitäler können aber auch eine falsche Sicherheit suggerieren: In anderen europäischen Staaten – besonders in Spanien, Frankreich und den Niederlanden – hat sich gezeigt, dass es einige Wochen nach dem starken Anstieg der Infektionszahlen zu erhöhten Hospitalisierungen kommt.
Wo stehen wir mit den neuen Regeln im europäischen Vergleich?
Wie schon im Frühjahr sind die neuen Corona-Massnahmen relativ mild. Der Bundesrat achtet penibel darauf, die Freiheitsrechte nicht zu stark einzuschränken. In Deutschland etwa scheitern Beherbergungsverbote für Reisende aus Corona-Hotspots gerade an den Gerichten. Während in anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden, Belgien oder Frankreich wieder Teil-Lockdowns und Ausgangssperren gelten, ist ein zweiter Lockdown in der Schweiz derzeit kein Thema.
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