Dezember 1944: Ein Schweizer soll verhindern, dass Adolf Hitler den Zweiten Weltkrieg doch noch gewinnt. Sein Deckname: Flute. Sein Auftraggeber: der amerikanische Geheimdienst. Es geht um alles oder nichts. Und die Uhr tickt.
Hitlers Armeen verlieren Schlacht um Schlacht. Die Deutschen stehen mit dem Rücken zur Wand. Ihre letzte Chance: die Atombombe. Seit Kriegsbeginn arbeiten sie fieberhaft an deren Bau. Der beste Wissenschaftler in Hitlers Diensten: Physiker Werner Heisenberg. Aber wie weit sind die Nazis mit der Bombe wirklich?
Der amerikanische Geheimdienst OSS schaltet Flute ein, seinen Schweizer Mitarbeiter in Zürich. Der Kernphysiker hat engen Kontakt mit den deutschen Atomforschern. Sein richtiger Name: Paul Scherrer, ETH-Professor. Er lädt Heisenberg nach Zürich ein, um herauszufinden, wann die Nazis mit der Bombe fertig sind. Mit dabei: ein amerikanischer Agent. Er soll den deutschen Starphysiker sofort erschiessen, wenn sich die Bombe anders nicht mehr verhindern lässt. Doch Heisenberg bleibt am Leben, denn die Deutschen schaffen den Durchbruch nicht. Dafür die Amerikaner. Im August 1945 radieren sie mit ihren Atombomben die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki aus. Und läuten damit das Atomzeitalter ein.
Die Schweiz betreibt heimlich ein Atombombenprogramm
Und die Schweiz? 1946 verkündet Bundesrat Karl Kobelt (FDP): «Wir haben weder die Absicht, noch wären wir in der Lage, Atombomben herzustellen.» Eine krasse Lüge. Schon im Jahr zuvor hat er zusammen mit der Armeeführung ein Nuklearwaffenprogramm gestartet. Erst 1958 gibt der Bundesrat öffentlich zu, dass er Atombomben will.
Die Militärs sind begeistert. Luftwaffenchef Etienne Primault: «Wenn man ein Flugzeug hätte wie beispielsweise die Mirage, die fähig ist, mit Atombomben nach Moskau zu fliegen, so könnte man sich auch einen Einsatz im Feindesland vorstellen.» Zusammen mit Verteidigungsminister Paul Chaudet (FDP) und Generalstabschef Jakob Annasohn arbeitet Primault an bombastischen Aufrüstungsplänen.
Sie überschreiten die veranschlagten Kosten für neue Kampfflugzeuge massiv. Und als der Kontrollverlust 1964 öffentlich wird, brandet eine Welle der Empörung durchs Land. Die drei Kalten Krieger müssen den Hut nehmen. Mit der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags 1969 wird die Idee einer Schweizer Atombombe schliesslich begraben. Offiziell. Denn erst Anfang der 80er-Jahre gibt der Bundesrat seine geheimen Uranreserven auf.
Heute Nachmittag beginnt die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) in Bülach ZH die ersten Probebohrungen für ein Tiefenlager. Das Ziel ist, den radioaktiven Müll dauerhaft und sicher zu versorgen. Bülach liegt im Gebiet Zürich Nordost, einer von drei Regionen, die für ein atomares Endlager in der Schweiz in Frage kommen. Die beiden anderen sind: Nördliche Lägern in den Kantonen Zürich und Aargau sowie Jura Ost im Kanton Aargau. Ein Tiefenlager muss in besonders stabilen geologischen Gesteinen zu liegen kommen. Bis 2022 soll der Standortentscheid fallen. Die Inbetriebnahme erfolgt voraussichtlich im Jahr 2060. Bis dahin lagern die atomaren Abfälle in einem Zwischenlager in Würenlingen AG.
Heute Nachmittag beginnt die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) in Bülach ZH die ersten Probebohrungen für ein Tiefenlager. Das Ziel ist, den radioaktiven Müll dauerhaft und sicher zu versorgen. Bülach liegt im Gebiet Zürich Nordost, einer von drei Regionen, die für ein atomares Endlager in der Schweiz in Frage kommen. Die beiden anderen sind: Nördliche Lägern in den Kantonen Zürich und Aargau sowie Jura Ost im Kanton Aargau. Ein Tiefenlager muss in besonders stabilen geologischen Gesteinen zu liegen kommen. Bis 2022 soll der Standortentscheid fallen. Die Inbetriebnahme erfolgt voraussichtlich im Jahr 2060. Bis dahin lagern die atomaren Abfälle in einem Zwischenlager in Würenlingen AG.
Die einen wollen abrüsten, die anderen die Bombe
Dem atomaren Wettrüsten und der Angst vor einem kriegerischen Ausbruch der Apokalypse stehen die weltweiten Hoffnungen gegenüber, die man in die friedliche Nutzung der Atomenergie setzt. AKW werden zu Symbolen für Wirtschaftswachstum und Fortschritt, auch in der Schweiz. Anfang 1968 wird der unterirdische Reaktor des AKWs Lucens VD in Betrieb genommen. Begeisterung im ganzen Land. Doch schon ein Jahr später, am 21. Januar 1969, gehen in Lucens die Sirenen los.
Eine Explosion erschüttert den Reaktorraum. Radioaktive Gase entweichen durch die undichte Ummantelung. Es folgen bange Stunden der Unsicherheit. Erst am nächsten Tag wird klar: Nur geringe Mengen der verseuchten Gase sind an die Erdoberfläche gelangt. Die Bevölkerung ist nicht verstrahlt. Klar ist aber auch: Die Schweiz ist haarscharf an einer atomaren Katastrophe vorbeigeschrammt.
Und wie reagierte das Land auf einen der schwersten Atomunfälle weltweit? Mit einem Schulterzucken. Der Reaktorraum in Lucens wird dekontaminiert und mit Beton vollgepumpt. Im selben Jahr noch geht das AKW Beznau in Döttingen AG ans Netz, 1972 dasjenige in Mühleberg BE.
Erst im Verlauf der 1970er-Jahre regt sich Widerstand. In geballter Form sorgt er 1975 für Furore, als 200 Demonstranten das Baugelände des geplanten AKWs in Kaiseraugst AG besetzen. Schnell wird aus dem Demo-Trupp ein Hippie-Dorf. Das Echo ist enorm. Die ganze Schweiz streitet über Kaiseraugst. Das Projekt wird schliesslich auf Eis gelegt, das AKW nie gebaut. Und das Volk spaltet sich in zwei unversöhnliche Lager: Befürworter und Gegner der Atomkraft.
AKW-Gegner und Nuklearfans bekriegen sich
Krieg bricht aus im Atomland Schweiz. AKW-Gegner blockieren Atommülltransporte. Die Polizei prügelt eine Grossdemo vor dem AKW in Gösgen SO brutal nieder. Und befeuert damit radikale Gruppierungen, die eine ganze Serie von Sabotageakten und Brandanschlägen verüben. Auch die Atomindustrie macht mobil. Eine mächtige Energielobby durchdringt die politische und wirtschaftliche Elite und überzieht das Land mit Pro-Kernkraft-Propaganda. Mit Erfolg. 1979 und 1984 werden zwei Volksinitiativen gegen neue Atomkraftwerke abgelehnt. Die Anti-AKW-Bewegung ermüdet. Ihre Appelle erreichen die Bevölkerung nicht mehr.
Stattdessen erreicht eine radioaktive Wolke die Schweiz, nachdem am 26. April 1986 im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl der atomare Super-GAU eingetreten ist. Radioaktiver Niederschlag breitet sich aus. Zuerst über Russland, dann über die ganze Welt.
Die Anti-AKW-Bewegung erhält neuen Auftrieb. Am 21. Juni 1986 versammeln sich 30'000 Menschen in Gösgen zur grössten Schweizer Anti-Atomkraft-Demo der Geschichte. Zwei neue Volksinitiativen werden lanciert: für ein zehnjähriges AKW-Moratorium und für den kompletten Atomausstieg.
Doch während die Russen eine riesige Stahlbetonhülle um den zerstörten Tschernobyl-Reaktor bauen, dämmen die Schweizer ihre Atomfurcht wieder ein. Das Moratorium wird angenommen, der Ausstieg jedoch verworfen. 2003 lehnt das Volk auch eine Verlängerung des Moratoriums ab, ebenso eine neuerliche Atomstopp-Initiative. Tschernobyl ist längst vergessen.
Der Fukushima-Schock verändert alles
Das ändert sich am 11. März 2011, als im japanischen Fukushima als Folge eines Erdbebens mit anschliessendem Tsunami drei Reaktorblöcke explodieren. Die Welt steht unter Schock. Und der Schweizer Bundesrat reagiert. Genauer: die vier Bundesrätinnen. Sie setzen sich gegen ihre drei männlichen Kollegen durch und beschliessen am 25. Mai 2011 den schrittweisen Atomausstieg.
Energieministerin Doris Leuthard (56), wegen ihrer früheren Tätigkeit in der Atomlobby-Organisation Nuklearforum von AKW-Gegnern «Atom-Doris» genannt, präsentiert anschliessend die Energiestrategie 2050. Gegen das entsprechende Gesetz ergreift die SVP das Referendum. Doch das Volk stimmt der Energiewende am 21. Mai 2017 mit einer klaren Mehrheit zu.
Es ist der Anfang vom Ende des Atomzeitalters in der Schweiz, dessen bewegte Geschichte Michael Fischer (38) im soeben erschienenen Buch «Atomfieber» rasant und kompetent erzählt. Das Erbe dieses Zeitalters: die radioaktiven Abfälle, deren Entsorgung der Schweiz noch bevorsteht.
«Atomfieber», Michael Fischer, 2019. NZZ Libro
In Bülach ZH beginnt die erste Probebohrung für ein Tiefenlager – und damit wohl das letzte Kapitel der Kernkraft in unserem Land. BLICK zeigt in einer 5-teiligen Serie auf, wie sie die Schweiz geprägt und gespalten hat. Heute: Die Geschichte.
In Bülach ZH beginnt die erste Probebohrung für ein Tiefenlager – und damit wohl das letzte Kapitel der Kernkraft in unserem Land. BLICK zeigt in einer 5-teiligen Serie auf, wie sie die Schweiz geprägt und gespalten hat. Heute: Die Geschichte.