Am 1. Januar tötet Natalie K. in ihrer Wohnung in Flaach ZH ihre Kinder Alessia (†2) und Nicolas (†5). Weil sie nicht will, dass sie ins Heim zurückgehen. Dann versucht sie sich selber umzubringen. Vergeblich.
Jetzt, sieben Monate später, hat sie es trotzdem getan. Am Freitag wurde sie in ihrer Zelle im Zürcher Untersuchungsgefängnis tot aufgefunden. Sie hatte sich stranguliert.
Sieben Selbstmorde in sechs Monaten
Der Selbstmord von Natalie K. ist bereits der Fünfte in einem Zürcher Gefängnis in diesem Jahr. Am 28. Juni strangulierte sich ein 40-jähriger Schweizer im Gefängnis Limmattal. Am 2. Mai hat sich ein Schweizer (33) im Gefängnis Zürich erstickt. Am 28. April lag ein Nigerianer (32) tot in der Zelle des Flughafengefägnisses. Es besteht Verdacht auf Selbstmord. Ende März hat sich ein Serbe (50) im Gefängnis Pfäffikon erhängt.
Auch andere Kantone sind betroffen. Am 24. Juli wird im Gefängnis Liestal ein 35-Jähriger erhängt in seiner Einzelzelle gefunden. Und ein weiterer Fall erinnert stark an denjenigen von Natalie K.: Am 6. Mai springt Gustavo G. (44) im Gefängnis von Lenzburg kopfüber ins Treppenhaus. Der Mann, der seine Tochter Rachel (†4) in Niederlenz AG getötet haben soll, stirbt an seinen Verletzungen.
Selbstmordrate bis zu zehn Mal höher
Die traurige Serie wirft Fragen auf. Wird in unseren Haftanstalten genug Präventionsarbeit geleistet?
Denn klar ist: Häftlinge sind besonders suizidgefährdet. «Die Suizidrate im Gefängnis ist viermal höher als in Freiheit, in Untersuchungshaft sogar bis zu zehn Mal grösser. Bei Einzelunterbringung ist das Risiko am höchsten, weil die Leute mehr allein sind», sagte Josef Sachs, Chefarzt der Forensik der Psychiatrischen Dienste Aargau, in einem Interview mit der «Ostschweiz am Sonntag».
Oft hätten die Häftlinge grosse Schamgefühle und leiden darunter, dass sie aus ihrem sozialen Umfeld gerissen wurden.
Besonders krass ist dies in der Untersuchungshaft. Im Gegensatz zum normalen Strafvollzug sind die Bedingungen dort viel härter. Für die Insassen gibt es weniger Betreuung, weniger Beschäftigung oder Kontaktmöglichkeiten.
Telefonverbot und nichts zu tun in U-Haft
Darunter litt auch Natalie K. Anfang Mai wurde sie vor der Klinik ins Untersuchungsgefängnis umplatziert. Zuvor hatte sie Kontakt mit anderen Insassen, sie kochten zusammen, sie schnitt den Insassen die Haare. In U-Haft sass sie dann 23 Stunden am Tag alleine in ihre Zelle. Sie hatte nichts zu tun. Nur zwei Mal die Woche erhielt sie einen kurzen Besuch eines Psychologen. «Unsere Tochter bettelte regelrecht nach Beschäftigung», sagt Vater Björn K. zu Blick.ch.
Die Zustände in den Schweizer Untersuchungsgefängnissen kritisiert auch die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF). Sie untersucht regelmässig Schweizer Gefängnisse und stellt erhebliche Unterschiede fest.
So gibt es Kantone, die besonders strenge Regeln in der Untersuchungshaft durchsetzen. Dazu gehört auch der Kanton Zürich. So dürfen Häftlinge dort nicht telefonieren und haben keine Beschäftigungsmöglichkeit. Oft wird damit argumentiert, dass die Inhaftierten ihre Tat mit Telefonanrufen vertuschen könnten.
Müssen Häftlinge enger betreut werden?
Wo diese Gefahr weniger besteht, fordert die Kommission aber eine Haftlockerung, wie Vizepräsident Alberto Achermann zur «NZZ» sagt. Zudem wirft er die Frage auf, ob Häftlinge nicht enger betreut werden müssten, um Selbstmordabsichten besser zu erkennen.
Das Zürcher Justizdepartement beteuerte am Samstag, dass die Insassen intensiv betreut würden, dass aber auch bei strengster Überwachung nicht alle Suizide verhindert werden könnten.
Nachahmungseffekt unter Häftlingen
Eine weiterer Grund für die vielen Selbstmorde in Gefängnissen könnte auch der Nachahmungseffekt sein, wie der Ex-Gefängnisdirektor und Strafvollzugsexperte Hans-Jürg Bühlmann zu Blick.ch sagte: «Gefängnisinsassen fühlen sich in einer gewissen Weise miteinander seelenverwandt, sie sind eingeschlossen und von der Aussenwelt isoliert. Es ist möglich, dass ein Gefangener vom Selbstmord eines anderen Häftlings hört und so einen Ausweg aus seiner Situation sieht und sich auch das Leben nimmt.»
Suizidrate trotz besserer Versorgung auch in Dänemark hoch
Vielleicht ist die hohe Selbstmord-Rate in Gefängnissen aber auch ein Schweizer Problem. So sieht Jérôme Endrass vom Zürcher Psychiatrisch-Psychologischen Dienst laut «NZZ»durchaus einen Zusammenhang mit der generell hohen Suizidrate in der Schweiz.
Das gleiche Problem habe Dänemark. Das Land habe europaweit die beste psychiatrische Versorgung in den Gefängnissen. Trotzdem liege das Land mit seiner Suizidrate an der Spitze. (sas)
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