Das Laub leuchtet golden. Das Licht ist warm und freundlich. Die frühherbstliche Sonne hat ihren Schrecken verloren. Nach einem Sommer voller Bangen ist auf dem kleinen Weinberg Ruhe eingekehrt. Die Reben in Maggia TI haben die Jahrhundertdürre 2022 nicht nur gemeistert – sie sind geradezu über sich hinausgewachsen.
«Die Trauben sind schon fast alle gelesen, es fehlen nur noch die des Cabernet Franc», sagt Weinbauer Robin Garzoli (44). Dann kann mit der Gärung begonnen werden. In Stahltanks, Eichenfässern, Terracotta-Amphoren. Robin Garzoli ist optimistisch. «Die Weine werden gehaltvoll. Es wird ein guter Jahrgang», sagt der junge Winzer von Maggia TI. Seine Merlots wurden schon in der Vergangenheit von Gault Millau ausgezeichnet. Es könnten neue Preise dazu kommen. Dank der Rekorddürre!
«Es wird der beste Wein, den ich je hatte»
Auch Rudy Studer (64) aus Genestrerio TI reibt sich die Hände. Sein Weinanbau verteilt sich auf vier Hektar, dort wo über viele Wochen im Sommer absoluter Wassernotstand herrschte. «Wir waren in grosser Sorge. Eine derartige Trockenheit hatten wir noch nie erlebt», erzählt Rudy Studer. «Wer keinen Brunnen hatte, wusste kaum, wie er seine Reben wässern sollte. Die Gemeinde Mendrisio half mit Tankwagen, wo sie konnte.» Oft sei es aber kaum mehr gewesen, als ein Tropfen auf den heissen Stein. «Besonders junge Reben drohten einzugehen», sagt der Tessiner Winzer weiter. Dann sei im August das rettende Gewitter gekommen. Die Weinlese war gesichert – und die Überraschung gross.
«Nicht nur, dass die Reben die Dürre überstanden, sie trugen zum Teil auch reiche Früchte. Es wird der beste Wein, den ich je hatte», jubelt Studer. Der Zuckergehalt sei so hoch, dass es dieses Jahr keinen Zusatz brauche. Die Begeisterung teilt auch Mirto Ferretti (67). Der studierte Agronom steht der Bellenzer/Misoxer Sektion des Weinbauernverbandes Federviti vor. «Die Rebe ist einfach eine fantastische Pflanze», schwärmt Ferretti, «sie passt sich an und ist sehr robust.» Die Unsicherheit sei so gross gewesen, jetzt aber zeige sich, dass der Dürre-Wein sogar Potenzial zu einem Jahrhunderttropfen habe.
Der kantonale Durchschnitt liegt bei über 90 Grad Oechsle
«Normalerweise beginnt die Weinlese Ende September, Anfang Oktober. Dieses Jahr waren die Trauben gut zwei Wochen früher reif», sagt Mirto Ferretti. In den vergangenen Jahren habe man einen Oechsle-Gehalt von 75 bis 80 Grad erreicht. «Dieses Jahr aber liegt der kantonale Durchschnitt bei über 90 Grad Oechsle», sagt Ferretti. Er rechnet damit, dass der Qualitätsrekord von 2003 noch gebrochen werde.
Gute Laune zeige sich in allen Weinregionen des Südkantons, bestätigt Giuliano Maddalena (68), wenn es auch regionale Unterschiede gab. «Im Südtessin, im Raum Mendrisio, war die Trockenheit grösser als im Sopraceneri, wo es doch hin und wieder ein Gewitter gab», sagt der Präsident des Weinbauernverbandes Federviti: «Wir haben in diesem Jahr einen Wein von hervorragender Qualität. Wegen des Wassermangels jedoch werden es ein paar Kilo weniger sein.» Die Trauben seien klein und leicht geblieben, so der Verbandschef. «Im Grossen und Ganzen jedoch hat die Trockenheit den Reben nichts ausgemacht.»
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