Wer am letzten Montag um 22.55 Uhr zu SF 1 zappte, durfte ein Stück Schweizer TV-Geschichte miterleben: Zürcher Medienmacher und TV-Talker Roger Schawinski (69) gegen Berner Satiriker und Provokateur Andreas Thiel (43).
Thiel hat vor drei Wochen in der «Weltwoche» ein giftiges Pamphlet über den Koran geschrieben. Darüber will Schawinski nun mit ihm reden. Ihn fragen, warum er den Religionsstifter Mohammed als «Kinderschänder, Massenmörder und auch Sklaventreiber» bezeichne.
Doch zum geplanten Gespräch über Religionskritik kommt es nicht. Die Begegnung artet in einen wüsten Hahnenkampf aus. Schon nach einer Minute fliegen die Fetzen. Thiel zu Schwawinski: «Du bist Jude, oder?» Schawinski: «Ja. Und du?» Thiel: «Bist du jetzt eher ein Papierjude? Oder ein Agnostikerjude? Oder ein gläubiger Jude?» Schawinski: «Das geht dich jetzt in diesem Moment nichts an. Du willst einfach ablenken.»
Und so geht das 27 Minuten lang weiter. Mal mokiert sich Irokesenschnitt-Träger Thiel über Schawinskis langweilige Frisur, mal frotzelt «Schawi», Thiel recycle ohne Scham billige Gags.
Seither diskutiert das Land über das Duell, das vor allem einen Verlierer kennt: Roger Schawinski. Er wollte Thiel als Rassisten entlarven, verhaspelte sich aber, fiel seinem Interviewpartner dauernd ins Wort, verlor zunehmend die Fassung. Nach der Sendung warf Schawinski Thiel gar das «A...-Wort» an den Kopf.
Der blieb die ganze Zeit über seelenruhig. Die Frage, wie rassistisch seine Islam-Kritik wirklich ist, blieb leider unbeantwortet. Dabei hätte Schawinski durchaus hart nachfragen müssen. Zum Beispiel, wieso Thiel glaubt, Muslime seien «irgendwo im Übergang zwischen Neandertaler und Homo sapiens stecken geblieben». (Den Satz sagte Thiel Ende 2012 in einem langen Interview mit der «Berner Zeitung». In der Sendung mochte er sich nicht mehr daran erinnern.)
Dass sich Schawinski schon am Dienstag dafür entschuldigte, die Sendung nicht abgebrochen zu haben, reicht vielen Gebührenzahlern nicht: In den Kommentarspalten von News-Seiten wie blick.ch fordern unzählige seinen Rausschmiss. Bei Achille Casanova (73), dem Ombudsmann der SRG, gingen bis gestern Abend 114 Beschwerden ein – ein historischer Rekord. In nur sechs davon kommt der Talkmaster gut weg, die meisten Beschwerdeführer bezeichnen ihn als «beleidigend» oder «respektlos». Für viele muss die Sendung mit Thiel der berühmte Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, um nun Schawis Absetzung zu fordern.
SonntagsBlick-Recherchen zeigen: Unter Druck ist Schawinski auch am Leutschenbach. Die Quoten seiner Talks sind eher mager. Bei vielen Sendungen 2014 guckten bei der Erstausstrahlung nicht einmal 100000 Menschen zu – Tiefpunkt war «Schawinski» mit Martin Bäumle (50) mit 66500 Zuschauern. Bei Thiel sahen immerhin wieder einmal über 150000 Leute zu.
Für den Radiopionier kommt das Desaster zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Hinter den Kulissen wälzt das Fernsehen neue Talk-Pläne. Wird Schawi auf einen schlechteren Sendeplatz abgedrängt? Oder – noch schlimmer – ganz aus dem Programm gekippt?
Seit einigen Monaten abgedreht ist beispielsweise eine Pilotsendung für einen Wirtschaftstalk mit «Eco»-Moderator Reto Lipp (54). Offiziell dementiert das Fernsehen zwar, dass geplant sei, «Schawinski» am Montag durch einen Wirtschaftstalk zu ersetzen.
Dass diesbezüglich Nachholbedarf besteht, wissen die TV-Macher aber sehr wohl. «Club»-Chefin Karin Frei (45) umgeht Wirtschaftsthemen elegant. Schawinski hat diesbezüglich ebenfalls ein Problem: Viele Topmanager wollen sich nicht seinem aggressiven Verhörstil aussetzen. Auf die Frage von SonntagsBlick, ob er seinem Klienten zu einem Auftritt bei «Schawinski» raten würde, antwortet der Berater eines einflussreichen Schweizer Managers mit einer Gegenfrage: «Sind Sie wahnsinnig?»
Kein Wunder also, dass statt «hochkarätiger und aktuell bedeutsamer Exponenten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft» (Sendungsporträt auf srf.ch) des öfteren Gäste wie die schrille Society-Lady Irina Beller (42), der «Bachelor» Vujo Gavric (28) oder Hellseher Mike Shiva (50) im Studio sitzen.
Offiziell stehen die Fernsehchefs hinter dem ehemaligen Radiopiraten. «Selbstverständlich» sei dieser noch tragbar, sagt SRF-Chefredaktor Tristan Brenn (49). Aus dem «verunglückten» Talk mit Thiel eine Grundsatzfrage zu machen, halte er «für nicht angebracht».
SRF-Direktor Ruedi Matter (61) sagt, der Stellungnahme Brenns habe er nichts beizufügen. «Ausser der Feststellung, dass es positiv ist, wenn eine Sendung von SRF eine öffentliche Diskussion auslöst.»
Schawinski bedauert zwar, dass er die Sendung nicht abgebrochen hat – geht aber gleich wieder zum Angriff über. «Mit der konstanten Verweigerung Thiels, zu antworten, befand ich mich in einer Extremsituation», sagt er zu SonntagsBlick. Den Vorwurf, er trete zu aggressiv auf, weist er zurück. «Die Sendung ist als Streitgespräch konzipiert, da bin ich Angreifer und nicht sanfter Fragesteller. Ich bin nicht Kurt Aeschbacher ...»