Gemeindepräsident von Monteggio TI erklärt Situation
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Nach Überfallserie:Gemeindepräsident von Monteggio TI erklärt Situation

Nach Hilferuf aus Monteggio TI wegen Kriminaltouristen schlagen auch diese 10 Gemeinden Alarm
Unsere Schmerzgrenze ist erreicht!

Monteggio TI hat die Nase voll. Weil immer wieder Räuber ins 880-Seelen-Dorf einfallen, fordert Gemeindepräsident Piero Marchesi (38) mehr Sicherheit an sekundären Grenzübergängen. Ein Einzelfall? Keineswegs. Im BLICK schlagen nun auch andere Grenzorte Alarm.
Publiziert: 12.09.2019 um 23:17 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2019 um 08:55 Uhr
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Der Überfall auf zwei Geldtransporter am 23. August 2019 in La Sarraz VD schockte die Schweiz.
Foto: keystone
Myrte Müller, Nicolas Lurati, Beat Michel, Marco Latzer, Michael Sahli

Offene Grenzen? Die Einladung nehmen vor allem Kriminaltouristen liebend gern an. «Wir hatten bis zu 80 Einbrüche in nur wenigen Monaten», meldet Piero Marchesi (38) aus Monteggio TI. Der SVP-Gemeindepräsident hat einen Brief an den Bundesrat geschrieben (BLICK berichtete). Seine Ansage: «Wir wollen 24 Stunden nonstop Grenzwächter an unseren Posten. Nur das hilft. Punkt!»

BLICK fragte bei verschiedenen Schweizer Grenzorten nach. Und erfuhr: Frust und Forderungen gibt es nicht nur im Tessin. «2018 hatten wir Probleme mit einer Einbrecherbande, die zweimal in die gleiche Bijouterie einbrach. Seit den Vorfällen haben wir die Präsenz der Kantonspolizei optimiert», sagt Walter Zegg (73), CVP-Gemeindepräsident von Samnaun GR. 

Boncourt fordert Grenzschliessung in der Nacht

Seit Jahren suchen Kriminaltouristen auch die Grenzgemeinde Boncourt JU heim. Sie rauben, was das Zeug hält. Allein 2018 wurde in 21 Häuser eingebrochen. Die Tankstelle gleich an der Grenze wurde schon mehrmals überfallen. Da der Staat wegschaut, muss die Gemeinde Gegensteuer geben. Als erstes Dorf in der Schweiz subventioniert Boncourt Alarmanlagen und finanziert Protectas-Patrouillen – mit Erfolg! «Seit der Ankündigung der Massnahme hatten wir keinen einzigen Einbruch mehr», sagt Lionel Maitre (34) stolz. Doch es brauche mehr, so der CVP-Gemeindepräsident. Denn: «Der Zoll an der Hauptstrasse ist ab 22 Uhr nicht besetzt. Wir fordern, dass nachts die Grenze geschlossen wird.»

Dabei wäre es so einfach. Nachts Schlagbaum runter – und fertig. Bereits 2015 lancierte Roberta Pantani (53) eine Motion für die nächtliche Schliessung sekundärer Grenzübergänge im Südtessin. Die Lega-Nationalrätin und Vize-Gemeindepräsidentin von Chiasso TI erreichte 2017 sogar eine Testphase. Drei Monate lang wurden drei Grenzübergänge nachts geschlossen. Die Kriminalitätsrate sei in der Zeit aber nicht gesunken, so das Eidgenössische Finanzdepartement damals. Die Grenze blieb fortan offen. 

Räuber schossen sogar auf Shop-Angestellte

«Bern hat zu wenig Ahnung von unserer Realität», sagt Pantani. Rein statistisch geht die Zahl der Kriminaltouristen zurück. Schweizweit sank sie von 15'846 im Jahr 2013 auf 12'994 im vergangenen Jahr. Doch der Schein trügt. «Einbrüche mögen zurückgegangen sein», so CVP-Sindaco Sergio Bernasconi (66). Er weiss: «Viele Bürger haben Alarmanlagen angeschafft. Doch brutale Raubüberfälle mit skrupellosen Verbrechern nehmen zu. Das ist gefährlich.»

Das kann der unabhängige Gemeindepräsident Gianfranco Poli (71) von Brusino Arsizio TI nur bestätigen: «Letztens haben Räuber sogar auf Angestellte eines Shops geschossen.» Poli fordert die Schliessung der kleinen Grenze ab 1 Uhr nachts, «damit Tessiner oder Touristen nach dem Abendessen in Italien noch rechtzeitig in die Schweiz kommen». Und auch hier: Es müssten Grenzwächter her. 

In Bernex schossen Räuber auf Beamte

«Die Verbrecher werden professioneller», warnt der freisinnige Kollege Simone Castelletti (35) aus Stabio TI. «In unserer Region sprengen Räuber Bancomaten in Wohnhäusern. Es ist ihnen egal, gehört zu werden. Sie sind sowieso in einer Minute weg – über die offene Grenze.» – «Ich spüre die Angst unter meinen Dorfbewohnern. Man fühlt sich nicht mehr wohl», ergänzt der CVP-Bürgermeister von Sessa TI, Sergio Antonietti (68).

Wie brutal Täter vorgehen, zeigte sich heute wieder: Zwei Männer sprengten in Bernex GE einen Bancomaten der Genfer Kantonalbank. Sie rammten ein Polizeifahrzeug und schossen sogar auf die Beamten. Ende August überfiel eine Bande in La Sarraz VD zwei Geldtransporter. Sie war mit Kalaschnikows bewaffnet. «Es ist schockierend, dass der brutale Überfall bei uns passiert ist», sagt Bürgermeister Daniel Develey (66).

Auf der Hut ist auch Rolf Huber (52), FDP-Gemeindepräsident von Oberriet SG: «Die Situation ist im Moment ruhig, aber das kann sich schnell wieder ändern. Obwohl die Grenzwache ihr Bestes tut, gibt es auch bei uns keine optimale Abdeckung.» Ganz ähnlich sieht es Ottavio Guerra (60) am unbemannten Grenzposten in Camedo TI. «Das lädt ja förmlich zum Schmuggel ein», sagt der freisinnige Gemeindepräsident der Centovalli-Gemeinde. Die Grenze sollte wieder so sein wie einst – nämlich gut bewacht.

So hat Baselland Kriminaltouristen im Griff

Der Kanton Basel-Landschaft ist für Kriminaltouristen ein perfektes Ziel: Im Dreiländereck gelegen und verkehrstechnisch gut erschlossen, sind Verbrecher aus Frankreich und Deutschland schnell hier – und genauso schnell wieder weg. Besonders Einbrüche sind darum immer mehr zum Ärgernis für die Bevölkerung geworden.

Das hat auch die Polizei gemerkt. Und dazugelernt. Die Waffe gegen Langfinger von ennet der Grenze heisst Ladro, italienisch für «Dieb». Das Einsatzmodell gilt als grosser Erfolg und wurde auch von anderen Polizeikorps übernommen.

Mit einer Software wird errechnet, wo und wann das Einbruchrisiko besonders hoch ist. Dort finden dann grosse Kontrollen statt – Tausende, seit die Taktik 2014 eingeführt wurde.

Aufklärungsrate verdoppelt

Oft sind die Grenzen im Fokus, auch wenn es die Polizeiverantwortlichen öffentlich nicht so formulieren würden. Intern würden aber zum Spass Kosenamen wie «Eiserner Vorhang» oder «Westwall» für das System benutzt, hiess es in Medienberichten.

Fakt ist: Das System funktioniert. Die Einbruchdiebstähle sanken seit 2015 von 1686 Fällen auf 1010 im Jahr 2018. Die Aufklärungsrate stieg im gleichen Zeitraum von 11 auf 22 Prozent. Und der Anteil von Tätern ohne festen Wohnsitz in der Schweiz sank um sechs Prozentpunkte. Darum liessen sich andere Polizeikorps bereits von Ladro inspirieren, auch im Ausland.

Ob die offenen Grenzen zu Europa einen Einfluss auf die grenzüberschreitende Kriminalität haben, lässt sich laut Bundesrat übrigens nicht sagen. Dies weil die Kriminalstatistik in der aktuellen Form erst nach Schengen eingeführt wurde.

Der Kanton Basel-Landschaft ist für Kriminaltouristen ein perfektes Ziel: Im Dreiländereck gelegen und verkehrstechnisch gut erschlossen, sind Verbrecher aus Frankreich und Deutschland schnell hier – und genauso schnell wieder weg. Besonders Einbrüche sind darum immer mehr zum Ärgernis für die Bevölkerung geworden.

Das hat auch die Polizei gemerkt. Und dazugelernt. Die Waffe gegen Langfinger von ennet der Grenze heisst Ladro, italienisch für «Dieb». Das Einsatzmodell gilt als grosser Erfolg und wurde auch von anderen Polizeikorps übernommen.

Mit einer Software wird errechnet, wo und wann das Einbruchrisiko besonders hoch ist. Dort finden dann grosse Kontrollen statt – Tausende, seit die Taktik 2014 eingeführt wurde.

Aufklärungsrate verdoppelt

Oft sind die Grenzen im Fokus, auch wenn es die Polizeiverantwortlichen öffentlich nicht so formulieren würden. Intern würden aber zum Spass Kosenamen wie «Eiserner Vorhang» oder «Westwall» für das System benutzt, hiess es in Medienberichten.

Fakt ist: Das System funktioniert. Die Einbruchdiebstähle sanken seit 2015 von 1686 Fällen auf 1010 im Jahr 2018. Die Aufklärungsrate stieg im gleichen Zeitraum von 11 auf 22 Prozent. Und der Anteil von Tätern ohne festen Wohnsitz in der Schweiz sank um sechs Prozentpunkte. Darum liessen sich andere Polizeikorps bereits von Ladro inspirieren, auch im Ausland.

Ob die offenen Grenzen zu Europa einen Einfluss auf die grenzüberschreitende Kriminalität haben, lässt sich laut Bundesrat übrigens nicht sagen. Dies weil die Kriminalstatistik in der aktuellen Form erst nach Schengen eingeführt wurde.

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