Schwere Kronleuchter unter der himmelblauen Kassetten-Decke, 28 Marmorsäulen, sechs Candlelight-Tische für die Verleger, vierzig Stehtischchen fürs publizistische Fussvolk: Es war ein prunkvoller Ballsaal, den Verleger und Verlegerinnen am Freitagabend betraten. Mit der «Schweizer Mediennacht» im Salle de Versailles sollte ihr Kongress im Grand Hotel Victoria-Jungfrau in Interlaken BE seinen gediegenen Abschluss finden.
Als Bundespräsident Ueli Maurer gegen acht Uhr vor die Versammlung trat, herrschte Festatmosphäre. In der Eröffnungsrede hatte der wiedergewählte Verbandspräsident Hanspeter Lebrument seine Branche dezidiert gegen Kritik von Politik und Wissenschaft in Schutz genommen. Wer von Niveauverlust oder Demokratiedefiziten rede, liege «rundweg falsch». Die Medien hätten sich in den vergangenen Jahren stark professionalisiert und verfügten über herausragende Ausbildungsstätten.
Maurer erntete zunächst einen kräftigen Lacher, als er bemerkte: «Ich habe bereits geschaut, wo der Notausgang ist. Ich bitte Sie, mir diesen Fluchtweg offenzuhalten. Ich habe die Gegenthese zu Ihrem Präsidenten vorbereitet.» Es kam tatsächlich knüppeldick: «Medien sollten ein Marktplatz für Meinungen und Ideen sein. Heute schreiben aber fast alle mehr oder weniger das Gleiche. Medien müssen Missstände aufdecken. Das machen sie zum Teil. Es bleibt aber oft an der Oberfläche.» Maurers Quintessenz: «Die Medien leisten heute nicht mehr das, was für einen funktionierenden, freiheitlichen Staat nötig wäre.»
Tiefer und tiefer trieb der Bundespräsident seine Spitzen in die Seele der Journalisten und Verleger: «Es herrscht weitgehend ein mediales Meinungskartell. Es gibt so etwas wie eine selbst verfügte Gleichschaltung. Sie legen heute fest, über was in diesem Land diskutiert werden darf und wo Tabuzonen liegen. Anstatt gute Diskussionen zu fördern, werden gute Diskussionen verhindert.»
Als Maurers Attacken erste Unmutssignale auslösten, konterte der Debattenprofi locker: «Wenn es Ihnen zu viel wird zum Stehen, hat es hier noch freie Plätze. Dann können Sie sich anschnallen.» Damit aber holte er keine Lacher mehr.
Maurer ätzte weiter: «Ich habe manchmal den Eindruck, Medien beschäftigen sich mehr mit sich selbst als mit den Lesern. Steuersenkungen für Bürger beispielsweise wären etwas, was man vertreten könnte. Ich stelle fest, dass sie eigentlich nur für Ihre eigenen Steuersenkungen eintreten.»
Nach der Bemerkung: «Wir haben faktisch Einheitsmedien – zwar gut aufgemacht, aber inhaltlich fahl, farblos und eintönig» gab es erste Buhrufe und Pfiffe. Am Ende übertönten die Unmutsäusserungen fast den Applaus.
Während sich der Bundespräsident wieder an den Ehrentisch begab, diskutierten die Journalisten und Verlagsleute erregt seine Fundamentalkritik. Ein Gast aus Deutschland meinte: «Bei uns müsste ein Bundespräsident nach einer solchen Rede zurücktreten.» Schweizer Kollegen erklärten, Begriffe wie «Gleichschaltung» würden hier nicht im Nazi-Kontext verstanden. Wie auch immer – die Feststimmung war auf jeden Fall ruiniert.
Maurer war offenbar selbst der Appetit vergangen. Er verabschiedete sich noch vor Eröffnung des delikaten Buffets. Verbandspräsident Lebrument geleitete den Ehrengast hinaus, fand aber keine Dankesworte für dessen Rede. Norbert Neininger, Verleger und Chefredaktor der «Schaffhauser Nachrichten» und Erfinder von TeleBlocher, entschuldigte sich bei Maurer für die Pfiffe und Buhrufe des Publikums.
Gestern Morgen meinte Lebrument beim Frühstück in Interlaken: «Die Verleger haben Herrn Maurer gehört. Wir aber hätten gerne gehört, wenn der Bundespräsident geredet hätte.»
Lebrument schloss: «Wenn Herr Maurer redet, gibt es manchmal Buhrufe und Pfiffe. Wenn der Bundespräsident redet, hört man andächtig zu.»
Laden Sie sich die vollständige Abschrift der Rede von Ueli Maurer als PDF-Dokument hier herunter:
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