Simon Brun (65) wirkt an diesem Nachmittag abgeklärt. Etwas müde vielleicht. Was damit zusammenhängen mag, dass er gerade eine Klasse von Polizeianwärtern unterrichtet hat. Auch ein Feierabendbier mit Kollegen lehnt er dankend ab. Mit den Worten: Er müsse morgen früh raus. Doch seine Faszination für Verbrechen, Täter und Opfer ist ungebrochen.
Seit 43 Jahren arbeitete der Stabsadjutant bei der Kantonspolizei Schwyz. Zuerst bei der Verkehrspolizei. 1981 wechselte er zum Fahndungsdienst, arbeitete sich zum Leiter Ermittlungsdienst und zum stellvertretenden Kripo-Chef hoch. Heute ist er Instruktor an der Interkantonalen Polizeischule in Hitzkirch LU. Hier gibt er sein Wissen an die nächste Generation weiter. Noch bis Ende Monat, dann geht er in Pension.
Früher sogar alleine auf Streife
Brun erlebte die alte und die neue Strafprozessordnung. In seinen Anfängen musste er manchmal noch allein zum Einsatz. Da konnte es schon mal passieren, dass er am Abend mit einer zerrissenen Uniform nach Hause ging. «Heute sind Polizisten mindestens zu zweit unterwegs», sagt er. «Zur Sicherheit. Ich sage meinen Schülern auch immer, dass die eigene Sicherheit vorgeht.»
Vieles hat sich in den vergangenen 43 Jahren geändert. Etwa der Respekt vor der Polizei, der immer mehr verloren geht. «Die Gesellschaft verroht», so Brun. «Unzufriedene suchen ein Feindbild und finden es in der Polizei. Junge Kollegen können besser damit umgehen als ich. Sie sind in dieser Gesellschaft aufgewachsen.» Anderes dagegen bleibt gleich. Verbrechen gab es immer und wird es auch in Zukunft geben. Besonders die unaufgeklärten Fälle gehen Stabsadjutant Brun nahe. «Sie werden mich auch nach der Pensionierung beschäftigen», ist er sicher.
Der Mord im Reisebüro lässt ihn nicht los
Zum Beispiel der grausame Mord an Patricia Wilhelm (†22) von 2004 in Altendorf SZ (BLICK berichtete). Der Fall ist noch ungelöst. Die Frau wurde erschossen, am helllichten Tag, während ihrer Arbeit im Reisebüro. Trotzdem hat man den oder die Täter nie geschnappt. Im August 2019 wandte sich die Kantonspolizei Schwyz mit Informationen an die deutsche TV-Sendung «Aktenzeichen XY ... ungelöst».
Im Zuge der Ermittlungen griff man auch zu unkonventionellen Methoden. So rekonstruierte ein Geopathologe den Fluchtweg. Und eine forensische Psychologin wurde beigezogen. Trotz allen Bemühungen ist der Täter oder die Täterschaft auch 16 Jahre nach dem Mord auf freiem Fuss. «Wir investierten Hunderte Stunden in den Fall», so Brun. «Dieses Verbrechen gibt mir noch immer schwer zu denken.»
Wirt und Metzger beklauen sich
Doch nicht jede Erinnerung ist tragisch, im Gegenteil: Brun hat auch komische Geschichten auf Lager. Wie folgenden Fall, der sich vor gut 20 Jahren im Wägital im Kanton Schwyz zutrug: Er und ein Kollege werden wegen eines Einbruchs in eine Metzgerei gerufen. Verwundert stellen die beiden Polizisten fest, dass in der Kasse 58 Franken fehlen, während der Grossteil des Geldes noch da ist. Der Metzger, der gerade eine Flasche Wein trinkt, hat keine Erklärung dafür.
Später am Tag kommt wieder ein Anruf aus dem Wägital. Diesmal vom Dorfwirt. Im Keller des Restaurants wurde eine einzige Flasche Wein gestohlen – zum Einkaufspreis von 58 Franken. Brun muss herzhaft lachen, wenn er die Geschichte erzählt. «Wir stellten natürlich den Metzger und den Wirt zur Rede», sagt er. «Doch beide stritten alles ab.» Dabei war offensichtlich, dass sie sich gegenseitig beklauten.
Das Haus einfach aus Diebstählen hochgezogen
Genauso kurios ist ein weiterer Fall aus dem Wägital. Tatort: ein schönes, neues Einfamilienhaus. Es war fast fertig erstellt, als einem Unternehmer ein Stromkasten auffiel, der zuvor auf einer anderen Baustelle gestohlen worden war. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass Türen, Fenster, Küche, Bad, ja sogar die WC-Schüssel aus Diebstählen von Baustellen in der Umgebung stammten. «Das grosse Haus war komplett aus zusammengestohlenen Teilen erstellt worden», erzählt Brun und grinst.
Im Nachhinein blickt er gerne auf seine Karriere zurück. Geht aber dennoch mit einem guten Gefühl in Pension. Sein Fazit:«Ich habe es gesehen.» Nun will er mit seiner Frau im Wohnmobil die Schweiz und das nahe Ausland bereisen. «Ich werde das Leben geniessen. Langweilig wird es mir auch in Zukunft nicht.»