Die Hälfte der Multimillionäre in der Schweiz sind Ausländer
Willkommenskultur für Superreiche

Seit dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative gehört die Eindämmung der Zuwanderung zu den obersten Zielen von Regierung und Parlament. Doch für reiche Ausländer rollt die Schweiz noch immer den roten Teppich aus.
Publiziert: 26.07.2017 um 23:42 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 22:17 Uhr
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Die Rockikone Tina Turner hat über 180 Millionen Tonträger verkauft. Sie wohnt seit Jahren in Küsnacht ZH. 2015 schenkte sie der Goldküstengemeinde eine Weihnachtsbeleuchtung.
Foto: picture alliance
Guido Schätti

Niemand hat mehr Superreiche als die Schweiz. 2000 Einwohner besitzen gemäss einer Studie der Credit Suisse mehr als 50 Millionen Franken, 710 sogar mehr als 100 Millionen. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist das Weltrekord. Doch auch in absoluten Zahlen leben in der Alpenrepublik mehr Superreiche als in grossen Ländern wie Frankreich, Italien oder Japan. 

Allein am Arbeitseifer der einheimischen Bevölkerung liegt das nicht. Mindestens die Hälfte der Superreichen sind Ausländer. Unter den Top 10 der Reichen-Rangliste des Wirtschaftsmagazins «Bilanz» finden sich nur gerade drei Schweizer. 

Alle anderen haben ihre Wurzeln im Ausland – von den Söhnen von Ikea-Gründer Ingvar Kamprad (91) über die deutsche C&A-Besitzerfamilie Brenninkmeijer, die niederländische Bier-Königin Charlene de Carvalho-Heineken (63) bis zum russischen Oligarchen Viktor Vekselberg (60). Auch die Dichte an Superstars aus Show und Sport ist einzigartig.

Bankgeheimnis und Pauschalbesteuerung locken die Reichen

Wie wurde die Schweiz zum Tummelplatz der Reichen und Berühmten? «Der Krämergeist war in der Schweiz seit jeher verbreitet», sagt der Basler Soziologe Ueli Mäder (66). Beleg dafür ist die Pauschalbesteuerung, ein Steuer-Discount für reiche Ausländer: Sie müssen nur ihren Lebensaufwand versteuern, der Rest wird ihnen erlassen. Der Kanton Waadt kennt das Privileg seit 155 Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen die übrigen Kantone und der Bund nach. Heute profitieren 5046 Personen von der Pauschalbesteuerung.

Der Luzerner Anwalt Urs Mühlebach (70) ist seit den frühen 80-Jahren in diesem Geschäft tätig. Dutzende von Ausländern lotste er in die Zentralschweiz. Alle sind mindestens 50 Millionen Franken schwer, darunter lohne sich der Umzug nicht, so Mühlebach.

Was er sagt, ist das Mantra der Branche: Tiefe Steuern seien wichtig, aber längst nicht der einzige Grund, dass reiche Ausländer in die Schweiz kämen. Ebenso sehr schätzten seine Klienten die Verlässlichkeit der Verwaltung, die hohe Lebensqualität und die stabilen Verhältnisse, sagt Mühlebach. «Das soziale Miteinander ist ein Standortvorteil.»

Das Ende des Bankgeheimnisses habe manche Ausländer verunsichert, so Mühlebach. «Die internationale Konkurrenz ist hart.» Auch Deutschland, Holland, Osterreich, Monte Carlo und London bemühten sich um finanzkräftige Ausländer. Manche gingen bei den Steuern viel tiefer rein als die Schweiz. «Aber die Lebensqualität ist bei uns viel höher.»

Dass die Schweiz von der Willkommenskultur für Superreiche profitiert, steht für ihn ausser Frage: «Es kommen keine Potentaten, sondern erfolgreiche Unternehmer und Geschäftsleute.»

Zu Hause lauert niemand vor der Haustüre

Ähnlich argumentiert der Zürcher Strategie- und Unternehmensberater Christoph Richterich (55). Zu seinen Klienten gehören neben Managern und Unternehmern auch Showstars, die sich in der Schweiz einen Platz fürs Altenteil suchen. «Prominente schätzen bei uns vor allem die Diskretion.» In der Schweiz könnten sie ihn Ruhe in einem Restaurant tafeln, zu Hause lauere ihnen niemand vor der Haustüre auf. «Das ist in anderen Ländern völlig anders. Dort können sie keinen Schritt machen ohne Bodyguard.» 

Soziologe Mäder hält solche Erklärungen nur für Fassade. Für sein vor sieben Jahren publiziertes Buch über die Reichen der Schweiz hat er sich mit vielen von ihnen unterhalten. Sein Fazit: «Natürlich ist die Schweiz ein schönes Land mit kurzen Wegen und guter Infrastruktur. Viele reiche Zuzüger kommen aber vor allem wegen der tiefen Steuern.»

Dass die Gelder heute allesamt sauber und versteuert sind, glaubt er nicht: «Schmutzige Gelder reinzuwaschen, ist zwar schwieriger geworden, aber selbst die Bundesanwaltschaft kann nicht alles prüfen und wissen.»

Die Bilanz fällt aus seiner Sicht weit weniger positiv aus. «Von der Pauschalsteuer profitieren Anwälte, Berater und Immobilienhändler, aber für die breite Bevölkerung sind die Auswirkungen negativ.» Was Mäder vor allem kritisiert, ist die Ungleichbehandlung: «Das weckt Ressentiments und unterläuft den sozialen Zusammenhalt im Land.»

Wer zahlt, darf bleiben

Die Schweiz ist nicht nur für Superreiche attraktiv, sondern Superreiche sind das auch für die Schweiz. Seit 2008 erlaubt ein Paragraf im Ausländergesetz deshalb den Kantonen, Aufenthaltsbewilligungen an wohlhabende Ausländer zu vergeben – auch wenn diese die Zulassungsbedingungen nicht erfüllen. Eine Bewilligung aufgrund «wichtiger öffentlicher Interessen» nennt sich das offiziell. Das öffentliche Interesse sind in diesem Fall die erheblichen Steuereinnahmen, die die schwerreichen Ausländer der Schweiz bescheren.

Von 2008 bis 2016 haben dank dieses Paragrafen 523 Ausländer eine Aufenthaltsbewilligung bekommen; bei knapp einem Drittel davon handelt es sich um russische Staatsbürger. So hat beispielsweise der Kanton St. Gallen 2014 unter Angabe «wichtiger fiskalischer Interessen» dem russischen Kreml-Kritiker und Ölmagnaten Michail Chodorkowski (54) den Aufenthalt erlaubt. Lange konnte der Kanton allerdings nicht vom Vermögen des Milliardärs zehren: Bereits im Jahr darauf zog Chodorkowski von Rapperswil-Jona nach London.

Die Schweiz ist nicht nur für Superreiche attraktiv, sondern Superreiche sind das auch für die Schweiz. Seit 2008 erlaubt ein Paragraf im Ausländergesetz deshalb den Kantonen, Aufenthaltsbewilligungen an wohlhabende Ausländer zu vergeben – auch wenn diese die Zulassungsbedingungen nicht erfüllen. Eine Bewilligung aufgrund «wichtiger öffentlicher Interessen» nennt sich das offiziell. Das öffentliche Interesse sind in diesem Fall die erheblichen Steuereinnahmen, die die schwerreichen Ausländer der Schweiz bescheren.

Von 2008 bis 2016 haben dank dieses Paragrafen 523 Ausländer eine Aufenthaltsbewilligung bekommen; bei knapp einem Drittel davon handelt es sich um russische Staatsbürger. So hat beispielsweise der Kanton St. Gallen 2014 unter Angabe «wichtiger fiskalischer Interessen» dem russischen Kreml-Kritiker und Ölmagnaten Michail Chodorkowski (54) den Aufenthalt erlaubt. Lange konnte der Kanton allerdings nicht vom Vermögen des Milliardärs zehren: Bereits im Jahr darauf zog Chodorkowski von Rapperswil-Jona nach London.

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