Mobbing, Vetternwirtschaft, Alkohol
Vorwürfe gegen Schweizer Fechtverband immer heftiger

Die renommierte Fechterin Gianna Hablützel bezichtigt Swiss Fencing scharf. Aktive und Ehemalige stützen die Vorwürfe. Erstmals übt auch der Dachverband Swiss Olympic Kritik.
Publiziert: 11.06.2023 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2023 um 13:39 Uhr
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Der Schweizer Fechtverband steht unter Beschuss.
Foto: Keystone
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Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

Gianna Hablützel (53) ist die erfolgreichste Fechterin der Schweiz. Die ehemalige Nummer eins der Weltrangliste gewann EM- und WM-Medaillen. Im Jahr 2000 holte sie zweimal Silber an den Olympischen Spielen von Sydney. Seit 2017 sitzt sie für die SVP im Kantonsparlament von Basel-Stadt, wo ab nächstem Herbst auch LDP-Mann Gabriel Nigon (67) politisiert.

Der prominente Basler Anwalt war drei Jahrzehnte lang die dominierende Figur im Schweizer Fechtverband Swiss Fencing: als Trainer, Sportchef und Vorstandsmitglied. Doch 2021 wurde Nigon von der Generalversammlung abgewählt – nach einem hitzigen Wahlkampf, in dem eine Gruppe von Reformern die alte Garde um Gabriel Nigon und den abtretenden Präsidenten Olivier Carrard (66) herausgefordert hatte.

Gianna Hablützel unterstützte die Reformer und veröffentlichte vor der Generalversammlung einen folgenreichen Beitrag in den sozialen Medien. Darin warf sie Nigon und ihm verbundenen Kandidaten Stimmenkauf vor, worauf diese eine superprovisorische Verfügung gegen den Beitrag erwirkten. Hablützel nahm ihn kurz darauf vom Netz.

Seit zwanzig Jahren auf Kriegsfuss

Anschliessend gingen der Fechtverband, Nigon und weitere Kläger juristisch gegen Hablützel vor, die Verfahren sind bis heute nicht abgeschlossen. Sie habe mit ihren Äusserungen widerrechtlich und strafrechtlich gehandelt, sagt Nigons Anwalt gegenüber SonntagsBlick. Hablützel habe die bereits ergangenen Entscheide in dieser Sache nicht akzeptiert und sei deshalb für die Weiterungen der Verfahren verantwortlich.

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«Sie wollen mich mundtot machen und finanziell ruinieren.»
Gianna Hablützel
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Hablützel sagt: «Sie wollen mich mundtot machen und finanziell ruinieren. So geht der Fechtverband mit Kritikern um, seit Gabriel Nigon und Olivier Carrard das Ruder übernahmen.» Seit zwanzig Jahren steht sie mit ihnen auf Kriegsfuss. Schon damals ging Nigon im Auftrag von Swiss Fencing juristisch gegen die Fechterin vor. 2004 schuf der Verband eigens eine «Lex Hablützel», um sie von der Teilnahme an internationalen Wettkämpfen fernzuhalten.

Vorletzte Woche verurteilte das Basler Strafgericht Hablützel wegen übler Nachrede. Sie geht in Berufung. Dabei ist der Vorwurf des Stimmenkaufs bei weitem nicht der einzige, den die ehemalige Spitzenfechterin an Swiss Fencing richtet. «Unter der Führung von Gabriel Nigon und Olivier Carrard haben sich im Verband Vetternwirtschaft und Mobbing breitgemacht», sagt Hablützel. «Posten werden an Nahestehende vergeben, Athleten ungleich behandelt, Kritiker mit allen Mitteln zum Schweigen gebracht. Es herrscht eine Kultur der Intransparenz und des Misstrauens.»

Übermässiger Alkoholkonsum im Trainerstab

Spricht da lediglich eine rachsüchtige Fechtikone? Was ist dran an ihren Bezichtigungen? SonntagsBlick fragte aktive und ehemalige Mitglieder von Swiss Fencing – Fechter, Trainer, Vorstandsmitglieder. Sie halten die Vorwürfe für zutreffend, wollen jedoch anonym bleiben, weil sie sich vor der Reaktion des Verbands fürchten.

In den Gesprächen mit den Insidern tauchen immer wieder drei Namen auf: Nigon, Carrard und Lamon. Die Familie der ehemaligen Spitzenfechterin Sophie Lamon (38) ist seit Jahrzehnten fest im Verband verankert. Der Vater war Vizepräsident, die Mutter hatte das Schiedsrichterwesen unter sich. Lamon selbst wurde nach ihrer Aktivkarriere für einige Jahre Geschäftsführerin des Verbands.

Sophie Lamons Ehemann wurde der Posten eines Nachwuchs-Nationaltrainers übertragen. Dazu ist ein Diplom nötig. Viele Sportverbände verlangen von ihren Trainern das Diplom des Dachverbands Swiss Olympic – der dafür notwendige Lehrgang dauert mehr als ein Jahr. Dem Schweizer Fechtverband genügte offenbar, dass Lamons Ehemann einen einwöchigen Diplomkurs in Polen absolvierte.

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«Swiss Fencing nimmt Hinweise auf übermässigen Alkoholkonsum sehr ernst.»
Fechtverband
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Der neue Nachwuchstrainer sorgte offenbar wiederholt für Wirbel. Mehrere Quellen berichten von Alkohol-Eskapaden. Am Morgen nach einer durchzechten Nacht soll er den Flug an ein Turnier in Russland verpasst haben. Die junge Athletin, die er hätte betreuen sollen, reiste ohne den Trainer ab. Doch er sei nicht der einzige, der bisweilen über die Stränge schlage. «Übermässiger Alkoholkonsum im Trainerstab ist ein gravierendes Problem, gerade während den Turnieren», so einer der Insider zu SonntagsBlick.

Die Reaktion des Fechtverbands: «Swiss Fencing nimmt Hinweise auf übermässigen Alkoholkonsum sehr ernst.» In den letzten zwei Jahren sei kein begründeter Hinweis eingegangen.

Selektionskriterien zugunsten bevorzugter Kandidaten

Mehrere Quellen führen gegenüber SonntagsBlick ein weiteres Problem der Athleten an: Wer nicht mit der richtigen Familie befreundet sei, habe kaum Chancen auf sportlichen Erfolg. Die Selektionskriterien für die grossen Turniere würden zugunsten bevorzugter Kandidaten geändert. Dies gelte auch bei der Vergabe von Fördergeldern: Leistungsverträge, Sport-RS – entscheidend sei am Ende nicht die Leistung, sondern die Nähe zu Führungskräften des Verbands.

Swiss Fencing betont: «Die Kriterien für die Saison 2022/23 wurden vereinfacht und vor Beginn der Saison kommuniziert. Die Selektionskommission hat sich bei den Selektionen für Titelkämpfe an die definierten Kriterien gehalten.»

Auch von regelmässigem Mobbing der Athleten ist die Rede. Ein Insider berichtet von einem Mitglied der Nationalmannschaft, das sich immer wieder Kommentare des Trainers über sein Gewicht anhören müsse – vor versammelter Runde. Die Trainingsaufgebote für diesen Fechter würden häufig so terminiert, dass es ihm nicht möglich sei, sie wahrzunehmen. Es sei eine Frage der Zeit, bis er aufgebe – so, wie es ein anderes gemobbtes Teammitglied bereits getan habe.

Dazu Swiss Fencing: «Es ist dem Verband bekannt, dass es in Betreuungssituationen zu Meinungsverschiedenheiten kommen kann, die von den Athleten zum Teil als ungerechtfertigt wahrgenommen werden. Meldungen in diesem Zusammenhang sind auch bis zur Direktion durchgedrungen.» Für Mobbing gelte bei Swiss Fencing Nulltoleranz.

Lamons ist jetzt Geschäftsführer

Sophie Lamons Mann hat seinen Trainerjob mittlerweile aufgegeben. Swiss Fencing ernannte ihn zum Geschäftsführer, er leitet nun den Bereich Leistungssport. Der zweite Geschäftsführer, verantwortlich für die Administration, ist auch Vizepräsident, Kommunikations- und Marketingchef von Swiss Fencing. Ausserdem ist er Vizepräsident des Fechtklubs Lugano. Mit anderen Worten: Er übernimmt diverse strategische und operative Führungspositionen gleichzeitig.

Hinzu kommt: Die Geschäftsführerin einer Marketingagentur, bei welcher der Vizepräsident des Fechtverbands Partner ist, organisiert dessen Sponsoring. Der Sponsoring-Chef des Verbands wiederum ist – der Vizepräsident.

Swiss Fencing betont, ethische Prinzipien und die Regeln der Good-Governance würden regelmässig überprüft und eingehalten. Vorwürfe der Vetternwirtschaft dementiert der Verband.

Der Vorstand unter Präsident Lars Frauchiger hat noch ein anderes Problem: 2022 erwirtschaftete Swiss Fencing ein Defizit von 250 000 Franken. Ein Grund sollen hohe Löhne für Trainer und Manager sein. Der Verband sagt: «Der Verlust ergab sich im Wesentlichen aus der grosszügigen Unterstützung der Athleten an Wettkämpfen und Trainings.» Klar ist: Die Athleten spüren die Folgen des Defizits. Sie müssen neu eine Administrationsgebühr abliefern, wenn sie an Wettkämpfe ins Ausland gehen. Mehrere Nachwuchsturniere wurden abgesagt.

Mehrere Athletinnen äussern sich kritisch

Vetternwirtschaft, Mobbing, Alkohol, Misswirtschaft, die Liste der Vorwürfe gegen Swiss Fencing ist lang. Der Verband finanziert sich nicht zuletzt mit Geldern von Swiss Olympic, mehr als eine Million Franken sind es pro Jahr. Der Dachverband hat mittlerweile von den Zuständen bei den Fechtern erfahren, wie er gegenüber SonntagsBlick bestätigt: «Swiss Olympic hat Kenntnis von einzelnen Vorwürfen, welche den Verband, insbesondere aber auch Verbandsmitglieder betrafen, und hat sich in diesen Fällen – entsprechend seiner Rolle – auch klärend und unterstützend eingebracht.»

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«Ich hoffe, dass der Verband so rasch wie möglich zurück zu demokratischen und transparenten Strukturen findet.»
Gianna Hablützel
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So habe Swiss Olympic 2021 eine Befragung unter den vom Dachverband geförderten Nachwuchssportlern durchgeführt und festgestellt, «dass mehrere Athletinnen und Athleten von Swiss Fencing sich kritisch über interne Vorgänge im Verband oder im Verein geäussert haben».

Der Interventionsspielraum für Swiss Olympic sei beschränkt, betont der Dachverband. «Fest steht aber, dass es Swiss Olympic ein grosses Anliegen ist, dass nicht nur individuelles Fehlverhalten, sondern auch strukturelle Missstände jeglicher Art transparent adressiert, untersucht und behoben werden.»

Die nächsten Vorstandswahlen bei Swiss Fencing finden 2024 statt. Gianna Hablützel: «Ich hoffe, dass der Verband so rasch wie möglich zurück zu demokratischen und transparenten Strukturen findet.»

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