Elida Osmani (†19) will im November 2017 nach Hause, läuft über einen Fussgängerstreifen in Lenzburg AG – und wird von Zahnarzt K. S.* (82) erfasst. Der Rentner prallt ungebremst in die Migros-Lehrtochter, sie wird weggeschleudert und so schwer am Kopf verletzt, dass sie später im Spital stirbt (BLICK berichtete). Am Donnerstag hat das Bezirksgericht Lenzburg den Totfahrer wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Doch K. S. kommt mit einer Busse davon: 10'000 Franken muss er bezahlen. Dazu gibts eine bedingte Geldstrafe von 60'000 Franken.
Die Geldstrafe wird bei guter Führung in der Bewährungszeit nicht fällig. Auch ins Gefängnis muss K. S. nicht. Und das, obwohl er wegen Verkehrsdelikten mehrfach vorbestraft, ohne Billett, angetrunken und möglicherweise auch zu schnell unterwegs war!
Ein Hohn für Elidas Angehörige. Wie ihr Anwalt am Mittwoch vor der Urteilsverkündung sagte, kommt die Familie nicht über Elidas Tod hinweg. Die Opferseite wünsche sich eine «angemessene Strafe», sagte Eric Stern. «Das ist für mich klar eine unbedingte Freiheitsstrafe.»
«Urteil ist ein zusätzlicher Schock für die Opferfamilie»
Umso grösser ist die Enttäuschung nach dem Zahnlos-Urteil gegen den Zahnarzt. Die Familie des Opfers sei «sehr enttäuscht», sagt Stern am Freitag auf Anfrage von BLICK. «Diese Strafe steht in keiner Art und Weise im Verhältnis zu dem, was passiert ist.» Die Staatsanwaltschaft habe fahrlässige Tötung eingeklagt und dafür eine unbedingte Gefängnisstrafe von 15 Monaten beantragt. «Ich bin davon ausgegangen, dass das Tötungsdelikt eventualvorsätzlich begangen wurde.» Dies hätte laut Stern zu einer härteren Bestrafung führen müssen. Die Staatsanwaltschaft habe im Zusammenhang mit der Fahrt des Zahnarztes von einem «Blindflug» und Rücksichtslosigkeit gesprochen. «Dies würde auch auf Vorsatz hinweisen.»
Das Urteil sei «ein zusätzlicher Schock für die Familie», sagt Stern. «Es ist eine grosse Enttäuschung, dass man sich in diesem Verfahren damit begnügen musste, sich im Entscheid nur auf die spärlichen Aussagen des Beschuldigten abzustellen. Ansonsten hat man fast nichts Verwertbares gemacht.» Es seien beispielsweise sehr viele Leute beim Unfallgeschehen dabei gewesen. «Dann wurden aber nur gerade vier Personen als sogenannte Auskunftspersonen von der Polizei befragt. Zeugenbefragungen wurden keine durchgeführt.» Das verkehrstechnische Gutachten sei vom Gericht als unbrauchbar bezeichnet worden. Somit sei der Beschuldigte von der massiven Geschwindigkeitsüberschreitung freigesprochen worden, welche von den Auskunftspersonen festgestellt worden sei. «Leider wurden unsere Beweisergänzungsanträge abgewiesen.»
Ob der Fall weitergezogen wird, ist unklar. «Das wird die Staatsanwaltschaft entscheiden müssen», sagt Stern. «Uns als Opfervertreter stehen da nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Verfügung.»
«Schwere der Strafe sollte Schwere der Tat abbilden»
Auch die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) legt grossen Wert darauf, dass Strafen im Verhältnis zum verursachten Geschehnis stehen. Zum konkreten Gerichtsfall will sich BFU-Sprecher Marc Kipfer nicht äussern. «Generell lässt sich sagen, dass die Schwere einer Strafe die Schwere der Tat abbilden sollte», sagt Kipfer. «Nur so ist aus unserer Sicht die Justiz glaubwürdig gegenüber der Bevölkerung.»
André Kuhn, der Anwalt von K. S., erklärt das Urteil im Fall Elida einerseits damit, dass das Gericht bei beiden Seiten eine Mitschuld am Unfall feststellte – Elida war laut Anklageschrift beim Überqueren des Fussgängerstreifens auf ihr Handy konzentriert. Andererseits sei das zukünftige Verhalten des Zahnarztes als positiv eingestuft worden. «Das Gericht vertraut darauf, dass dieser Autolenker sich künftig wohlverhalten wird», sagt Kuhn. Dies habe zur Folge, dass vom Gericht keine vollstreckbare Strafe, sondern eine Bewährungsstrafe auferlegt werde.
Der Zahnarzt bedauert laut seinem Anwalt ausserordentlich, was passiert ist. Ein echtes Schuldeingeständnis hat K. S. jedoch nie abgelegt. Wie Kuhn erklärt, hat sein Klient jedoch seine Lehren aus dem Unfall gezogen. Er habe einen Chauffeur für sich angestellt und sein Auto verkauft.
* Name bekannt