Vierfach-Mörder Thomas N. tötete lieber, als seiner Mutter die Wahrheit zu sagen
«Sie kannte ihren Sohn nicht»

Die Mutter war und bleibt die einzige Bezugsperson von Vierfach-Killer Thomas N. Doch er täuschte auch sie jahrelang. Wie konnte das sein?
Publiziert: 19.03.2018 um 10:17 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 23:05 Uhr
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Thomas N. lebte mit seiner Mutter unter einem Dach. Trotzdem kannte sie ihn nicht.
Foto: Toni Lindroos
Gabriela Battaglia

Meine Mutter. Meine Mutter. Meine Mutter. Die Mutter ist im Leben von Vierfachmörder Thomas N. (34) omnipräsent. Vor der Tat. Nach der Tat. Während des Prozesses. Er wohnte bei ihr, lebte mit ihr. Sie bezahlte sein Leben. Sie war und ist die einzige Bezugsperson in seinem Leben. Nach der Tat ging er mit ihr und den Hunden spazieren. Sie merkte nichts.

Was wäre passiert, wenn Thomas N. vor der Schreckenstat in Rupperswil AG seiner Mutter von seinem Lügengebäude berichtet hätte? Ihr gestanden hätte, dass er ein Verlierer ist, der kein Studium abgeschlossen hat? Er beantwortete diese Frage des Richters ebenso einfach wie verstörend: «Sie hätte mich in den Arm genommen und gesagt: ‹Das packen wir zusammen.›»

Thomas N. baute auf die Treue seiner Mutter. Zwölf Jahre lang hielt er auch ihr gegenüber ein Lügengebäude aufrecht. Er gab sich als erfolgreicher Student und zuletzt als Doktorand aus. Er zeigte ihr gefälschte Universitätsdiplome. Auch dass er pädophil ist, verschwieg er.

Wieso merkte die Mutter nichts?

Wie ist eine so enge und doch so ferne Beziehung möglich? Psychologe Allan Guggenbühl (65): «Die Tatsache, dass die Mutter die einzige Bezugsperson ist, könnte ein Anzeichen sein, dass eine psychopathologische Entwicklung vorliegt.»

Das Lügengebäude von Thomas N. erstaunt ihn nicht: «Ein Kennzeichen von Psychopathen ist es, dass sie jemandem etwas perfekt vorspielen können.»

Psychopathen verhielten sich so, wie es die Umwelt von ihnen erwarte. «Sie sind viel besser fähig, ihre Umwelt zu täuschen. Normale Menschen fühlen sich plötzlich schuldig.»

«Sie fragte sich vielleicht, was mit ihm los ist»

Thomas N. hatte offenbar kein Problem, seine Umgebung zu täuschen. Er konnte seiner Mutter nicht gestehen, dass er ein Verlierer ist. Lieber tötete er vier Menschen.

Hatte die Mutter von Thomas N. nie Zweifel? Psychoanalytiker Olaf Knellessen (66) kann sich das vorstellen: «Sie kannte ihren Sohn nicht. Vielleicht hat sie sich aber manchmal gefragt, was eigentlich los ist.» Doch das gebe es auch in anderen Konstellationen. «Wenn etwa ein Partner viele Jahre lang heimlich eine Parallelbeziehung führt.»

Besuche im Gefängnis

Die Mutter bleibt auch nach Thomas N.s Verurteilung zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe mit Verwahrung seine einzige Bezugsperson. Wohl für immer. Sie besucht ihn alle zwei Wochen im Gefängnis. Ausserdem kann er jeden Monat 160 Minuten lang mit ihr telefonieren. 

Guggenbühl ist nicht erstaunt: «Für die Mutter ist Thomas N. noch immer der Sohn. Ob sie ihm wirklich verziehen hat, wissen wir aber nicht.» Und Knellessen sagt: «Die Mutter will ihn möglicherweise nicht ganz allein lassen.»

Allein liess sie ihn letzte Woche. Sie blieb dem Prozess fern.

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