Der Fall Rupperswil gilt als eines der grausamsten Verbrechen der Schweizer Kriminalgeschichte. Seit Dienstag muss sich der Rupperswil-Killer Thomas N.* (34) vor Gericht für seine Bluttat verantworten. Kaltblütig schlitzte N. Carla Schauer (†48) und ihren beiden Söhnen Dion (†19) und Davin (†13) sowie Dions Freundin Simona F.* (†21) die Kehlen auf. Zuvor missbrauchte der pädophile Killer Schauers jüngsten Sohn mehrfach.
Während am ersten Prozesstag die beiden psychiatrischen Gutachter und der Killer selbst zu Wort kamen, stand der zweite Prozesstag ganz im Zeichen der Plädoyers seitens Klägerschaft und Verteidigung. Insgesamt umfasst die Liste der Zivil- und Strafkläger 13 Personen.
Mittwochmorgen, 8.13 Uhr im Gerichtssaal der Mobilen Polizei in Schafisheim AG. Es herrscht absolute Stille, als der Vierfach-Killer Thomas N. den Raum betritt. Zwei Minuten später, Punk 8.15 Uhr, eröffnet Gerichtspräsident Daniel Aeschbach den zweiten Prozesstag.
«Das bisherige Untersuchungsverfahren war sehr emotionslos», sagt Staatsanwältin Barbara Loppacher. Ganz anders hingegen der zweite Prozesstag. So konnte Carla Schauers Lebenspartner, Georg Metger, bei den Ausführungen des Opfer-Anwalts Markus Leimbacher seine Tränen nur schwer zurückhalten. Auch bei den Angehörigen von Simona F. flossen Tränen. Ebenso bei einem anwesenden Polizisten. Nicht zuletzt dürften die Bilder der Opfer, die während der Plädoyers der Opfer-Anwälte in den Gerichtssaal projiziert wurden, ihren Teil dazu beigetragen haben. Das Leid der Opfer-Familien wurde geradezu greifbar.
Das fordert die Staatsanwältin
Barbara Loppacher, die verantwortliche Staatsanwältin im Fall Rupperswil, hält ihr Plädoyer als Erste. Die Forderung nach einer lebenslangen Verwahrung steht im Fokus. Loppacher verweist auf das Gutachten von Josef Sachs, Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Königsfelden AG, vom ersten Prozesstag. Laut ihm könne die Tötungshandlung nicht direkt auf eine psychische Störung des Täters zurückgeführt werden. Kollege Elmar Habermeyer, Direktor der Forensischen Psychiatrie an der Psychiatrischen Uniklinik Zürich, äusserte sich bei der Frage nach der lebenslangen Verwahrung von Thomas N. allerdings nicht konkret, sondern «druckste herum», wie Loppacher in ihrem Plädoyer rekapituliert.
Loppacher schliesst eine ambulante wie auch stationäre Massnahme begleitend zur Freiheitsstrafe aus. Denn in der Regel betrage die Massnahmedauer fünf Jahre. Dabei müsse davon ausgegangen werden, dass in diesem Zeitraum ein Therapieerfolg möglich ist. Dem sei bei N. nicht so. Für die Staatsanwaltschaft ist die Frage nach der lebenslangen Verwahrung somit eindeutig. «Die Tötungshandlungen können nicht auf eine konkrete psychische Störung zurückgeführt werden.» Da N. folglich nicht therapierbar ist, sei die Grundlage für eine lebenslange Verwahrung des Angeklagten gegeben. Loppacher fordert daher: Lebenslange Haft und lebenslange Verwahrung. Eventuell sei eine ordentliche Verwahrung anzuordnen. Ausserdem fordert sie lebenslängliches Tätigkeitsverbot.
Das fordern die Opfer-Anwälte der Hinterbliebenen
Gemäss den Ausführungen von Opfer-Anwalt Markus Leimbacher, der die Familie von Carla Schauer vertritt, leiden die Eltern von Carla Schauer seit der Bluttat unter Depressionen. Georg Metger, der Lebensgefährte von Carla Schauer, leidet ebenfalls immens unter dem Verlust seiner Partnerin und deren Söhne. Zudem von der Polizei überwacht, sein Büro durchsucht, sein Telefon abgehört. Schauers Bruder befindet sich wegen schwerster posttraumatischer Belastungsstörung in psychologischer Behandlung. Auch wenn sich die Opfer-Anwälte nicht zum Strafmass äussern dürfen, sagt Leimbacher vor Gericht: «Die manipulative Seite des Beschuldigten darf künftig nicht ausser Acht gelassen werden. Der Beschuldigte ist geradezu ein Meister der Manipulation – das gilt gegenüber Therapeuten, dem Gefängnis, gegenüber dem Gericht, gegenüber uns allen.»
Auf Leimbachers Plädoyer folgt das von Stefan Meichssner, dem Anwalt von R.S.*, dem Vater von Dion und Davin. Er selbst war nicht anwesend. Dann folgt Anwalt Carlo Borradori, der die zwei Halbschwestern von Davin und Dion Schauer vertritt. Und schliesslich Luc Humbel, der Anwalt der Familie F.. «Was uns genommen wurde, kann niemals auch nur ansatzweise jemand wieder gut machen», zitiert Humbel die Schwester der getöteten Simona F. in seinem Plädoyer.
Zuletzt kam Samuel Neuhaus, der Anwalt der potentiellen Opfer-Familien X aus dem Kanton Solothurn und Y aus dem Kanton Bern, zu Wort. Nach Schauers sollten die beiden Familien das nächste Ziel von N. werden. Die Eltern der Familie X befänden sich noch immer in psychologischer Behandlung.
Insgesamt belaufen sich die Forderungen seitens aller Opfer-Anwälte auf über 750'000 Franken – rund 700'000 Franken Genugtuung sowie rund 53'000 Franken Schadenersatz.
Das fordert die Verteidigerin von Killer Thomas N.
Fast dreieinhalb Stunden dauerte das Plädoyer von Renate Senn, der Verteidigerin des Vierfach-Killers. Senns Äusserungen gleichen einer Inszenierung. Senn bezeichnet N. als unauffälligen Mann «aus unserer Mitte». In Bezug auf die Tat erklärt Senn, dass N.s Ziel schlicht und einfach darin bestanden habe ein Sexualdelikt an Davin zu begehen. «Lediglich 20 Minuten» habe der Missbrauch gedauert und sei nicht von übermässiger Gewalt beherrscht gewesen. N. habe sein Opfer auch nur gefesselt, damit es sich nicht wehrt – nicht aber aus sadistischen Gründen. Sie spielt die Taten ihres Mandanten immer wieder herunter.
Auch die Vorbereitungstagen in puncto der potenziellen Opfer-Familien X und Y spielt sie herunter. Von diesem Anklagepunkt verlangt sie ihren Mandanten gar freizusprechen. Senn stellt ihren Mandanten als Musterschüler dar. Er habe sich gegenüber Behörden kooperativ verhalten. Gleichzeitig schiesst sie gegen die Staatsanwaltschaft. Diese hätte eine «mediale Hetzjagd» auf N. initiiert. Sie fordert deswegen eine Strafminderung. Ausserdem schreibt sie den Opfern eine gewisse Mitschuld zu. In puncto Strafmass schliesst sie eine lebenslängliche Verwahrung kategorisch aus. Der Verweis: Habermeyers diagnostizierte narzisstische Störung. «Herr N. ist therapiefähig sowie auch therapiewillig. Es liegt demnach keine Nicht-Therapierbarkeit vor.» Senn hält eine Haftstrafe mit ambulanten Massnahme für geeignet. Sie fordert 18 Jahre Haft für ihren Mandanten.
Welche Strafe erwartet den Vierfach-Killer von Rupperswil? Am Donnerstag verhandeln die Richter ohne Thomas N. – das Urteil wird diesen Freitag, um 10 Uhr, erwartet.
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