Der zweite und letzte Verhandlungstag im Prozess gegen Marcel M.* (22) beginnt gestern Morgen kurz nach acht im Kultur- und Kongresshaus Aarau.
Erstmals hat der Lagerarbeiter und Hobby-Thaiboxer die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge darzulegen: Was an diesem 22. Juli 2007 vor der Aarauer Disco Kettenbrücke passierte. Warum er Nicky Hoheisel (19) die Faust ins Gesicht schlug. Ihn so ins Koma beförderte. Und in den Tod (im BLICK).
Marcel M. nutzt die Gelegenheit. Doch keine Worte der Reue, keine Entschuldigung kommen über seine Lippen. Bloss eine abstruse Tatversion, die fast allen Zeugen widerspricht: «Ich wollte Nicky nur anficken», sagt Marcel M. Er habe ihn nicht geschlagen. Sondern irgendjemanden neben Nicky.
Dass er vor Gericht stehe, sei das Ergebnis eines Komplotts. Nicht er, sondern einer seiner Italo-Kumpels habe Nicky nämlich den Todesschlag verpasst.
Der Gerichtspräsident hakt nach. Marcel M. sind die Antworten ausgegangen: «Ich mag mich nicht daran erinnern.»
Marcel M.s Verteidiger will einen vollumfänglichen Freispruch. Der Staatsanwalt fordert sechs Jahre Freiheitsstrafe. Dann hat Marcel M. das letzte Wort. Die letzte Chance auf eine Entschuldigung. Marcel M. lässt sie eiskalt verstreichen: «Nein, ich will nichts mehr sagen.»
Nachmittags kurz nach vier fällen die Richter ihr einstimmiges Urteil: Fünf Jahre Freiheitsstrafe. Knast, unbedingt.
Marcel M. sackt etwas zusammen. Nickys Mutter Yvonne Hoheisel (47) hat Tränen in den Augen. Ihr schuldet Marcel M. 60 000 Franken Genugtuung, dem Vater 40 000. Der Gerichtspräsident spricht von einer «sinnlosen Vernichtung eines jungen Lebens». Marcel M. sei «gefühlsmässig verarmt».
Nach dem Prozess spricht Yvonne Hoheisel beim Hinterausgang mit BLICK: «Für mich waren es zwei schlimme Tage. Der Täter hatte mehrmals die Möglichkeit, sein Bedauern auszudrücken», sagt sie. «Ich habe ihn sogar persönlich getroffen, auf dem Weg zum WC. Er lief ganz kalt an mir vorbei.»
Dann geht die Türe auf. Marcel M., der Killer ihres Sohnes, kommt aus dem Hintereingang. Seine Kapuze hat er tief im Gesicht. Er steigt in ein Auto, wird weggefahren. Yvonne Hoheisel schüttelt den Kopf: «Es ist unglaublich, dass der frei herumlaufen darf, bis das Urteil rechtskräftig ist.»
*Name bekannt