Das Urteil bleibt in zweiter Instanz unverändert: Thomas N.* wird ordentlich verwahrt. Weder Verteidigung noch Staatsanwalt kamen mit ihren Forderungen durch. Wie schätzen Sie das Urteil ein?
André Kuhn: Das Obergericht Aargau hält den Täter auf sehr lange Sicht für nicht therapierbar. Man ist sich aber nicht sicher, ob er lebenslang untherapierbar ist. Darum kann keine lebenslängliche Verwahrung ausgesprochen werden. Aber auch die angeordnete ordentliche Verwahrung ist zeitlich unbeschränkt und wird erst aufgehoben, wenn der Täter nicht mehr als gefährlich eingestuft ist.
In erster Instanz wurde genau dieses Urteil von Staatsanwalt und Verteidigung angefochten. Nun bleibt es beim gleichen Urteil. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass der Fall vor Bundesgericht landet?
Es ist mit grosser Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen. Es geht für den Beschuldigten um sehr viel. Das heisst, die Verteidigung wird sich intensiv überlegen, das Urteil nochmals weiterzuziehen.
Falls es bei der ordentlichen Verwahrung bleibt: Heisst das, dass mir Thomas N. in 15 oder 20 Jahren im Tram begegnen könnte?
Selbst wenn gar keine Verwahrung angeordnet worden wäre: Man würde den Beschuldigten erst wieder in Freiheit sehen, wenn er nicht mehr gefährlich ist. Lebenslange Freiheitsstrafe heisst grundsätzlich lebenslang. Man kann frühestens nach 15 Jahren eine Entlassung beantragen. Dazu braucht es aber den Nachweis, dass der Häftling nicht mehr gefährlich ist. Die Voraussetzungen, aus einer Verwahrung entlassen zu werden, sind fast identisch: Es braucht einen Nachweis, dass keine Gefahr mehr besteht. Bildlich gesprochen: Es macht keinen Unterschied, ob es auf der Strasse eine einfache oder eine doppelte Sicherheitslinie hat – überqueren darf man sie sowieso nicht. Es kommt also fast aufs Gleiche heraus.
Er kommt also Ihrer Meinung nach so oder so nicht mehr raus?
Zwei Psychiater haben psychische Erkrankungen festgestellt, darunter Pädophilie. Vor dem Hintergrund einer solchen Tat dürfte es sehr schwierig werden, zu belegen, dass die psychischen Beeinträchtigungen behoben sind. Entsprechend wird es schwer für den Beschuldigten, wieder in Freiheit zu kommen.
Wofür brauchen wir dann überhaupt die Unterscheidung zwischen ordentlicher und lebenslänglicher Verwahrung?
Der Unterschied ist: Bei der lebenslänglichen Verwahrung ist klar, dass der Täter lebenslang nicht therapiert werden kann. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, kann man «normal» verwahren. Das heisst, man ist der Überzeugung, dass jemand für ganz lange Zeit, eventuell lebenslang, nicht therapierbar ist. Aber: Man ist sich eben nicht sicher. In beiden Fällen muss der Täter den Nachweis erbringen, dass die psychischen Probleme behoben sind. Bei der lebenslangen Verwahrung gibt es noch die Hürde, dass die Heilung dank neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgt sein muss.
* Name bekannt