Giuseppe Melina (59) war Schichtarbeiter. 30 Jahre lang sass er in einem Grosskonzern am Band. Vor zwei Jahren erhielt er die Kündigung. Melina, der aus Kalabrien stammt, wurde plötzlich nicht mehr gebraucht. Nicht einmal mehr als namenlose Nummer an einer Maschine.
Die Kündigung riss ihm den Boden unter den Füssen weg. Er fühlte sich nutzlos. Existenzängste plagten ihn, er ging kaum mehr aus dem Haus. Innert kurzer Zeit verlor er den Lebensmut, glitt in eine Depression. Eine schwierige Zeit für die ganze Familie Melina.
Die beiden Söhne Fabio (31) und Gian-Marco (32) überlegten, was sie tun könnten – und erinnerten sich an den grossen Traum ihres Vaters. Den Traum vom Gelati-Verkaufen. Kühn beschlossen sie: Wir schenken Papa eine Gelateria!
Nach hundert Lokalen kam das richtige
Ahnung von der Gastronomie hatten die beiden nicht. Doch die Liebe zum Vater, der ihnen gemeinsam mit der Mutter eine Kindheit voller Liebe geschenkt hatte, trieb sie an. Etwa 100 Lokale besichtigten die beiden Brüder innert zweier Jahre im Aargau. Keines passte. Manche waren zu teuer, andere zu klein. Entmutigen liessen sie sich nicht.
Dann fanden sie es: In der Aarauer Altstadt an bester Lage. Sie wussten: Das ist, wonach sie so lange gesucht hatten. Nach zwei bangen Wochen kam die Zusage. Fabio konnte es kaum fassen, rief seinen Bruder an. Dann die Eltern. Sagte, dass sie gemeinsam mit der Schwester am nächsten Tag einen Ausflug nach Aarau machen würden.
Vor dem Lokal lüfteten die Söhne das Geheimnis: «Papa, das hier wird eine Gelateria – deine Gelateria.»
Vater Giuseppe brach in Tränen aufgelöst zusammen – so erzählen es die Söhne. Die Familie lag sich in den Armen. Bis die Mutter fragte: «Habt ihr überhaupt eine Ahnung von Glace?» Hatten sie nicht. Aber sie waren willig zu lernen.
Bürogummis legen Hand an
In nur einem Monat bauten sie das Lokal um. Giuseppe verlegte den Boden eigenhändig. Sie mussten sich mit Kühltechnik und allerhand anderen Dingen auseinandersetzen, von denen sie keine Ahnung hatten. «Wir sind beide Bürogummis», sagt Gian-Marco. Doch sie schafften auch das. Vor einem Jahr eröffnete die Gelateria. Und es funktioniert. Oft stehen die Leute Schlange für eines von Melinas Glaces.
Das Schönste für die Söhne aber ist, die Verwandlung ihres Vaters zu sehen. «Unbeschreiblich» sei es, dass er nun Gelati verkaufen dürfe, sagt der. Manchmal könne er es noch gar nicht glauben. Fabio sagt: «Papa dreht richtig durch!» Er wolle sich nun ein Glace auf den Arm tätowieren lassen.
«Glacesüchtig» sei ihr Vater, sagen die Söhne. Und so gönnt sich Melina täglich bis zu zehn Mal ein Gelato. Ebenso oft putzt er den Boden. Schliesslich soll alles perfekt sein.
Die besten Söhne der Welt
Am meisten geniesst er aber die Gespräche mit seinen Kunden. Etwas, das ihm in all den Jahren an der Maschine gefehlt hat.
Als er kürzlich durch die Altstadt ging und ihn ein Passant grüsste, sagte er zu seinem Sohn: «Die nennen mich beim Namen, die kennen mich!»
Benannt ist die Gelateria übrigens nach den Söhnen: Fab&John. Das wollte Giuseppe Melina so. Auf die Frage, ob er denn die besten Söhne der Welt habe, sagt der ruhige und etwas scheue Melina: «Ja, für mich sind sie das.» Die Tränen in den Augen kann er nicht wegblinzeln.