Wer vom Bahnhof Richtung Stadthaus stapft, sieht Männer, die in Überhosen knietief in der Aare stehen. Sie sanieren die alte Holzbrücke, die letztes Jahr Feuer fing. Der Abfallwagen fährt seine gewohnte Route durch die Quartiere. Die Grosis flanieren über den Kirchplatz. Alles beim Alten, meint man. Dabei brodelt es, Olten steht still. Shutdown. So wie die USA noch bis vor kurzem, einfach im Kleinen. Made in Switzerland halt.
Kein Geld mehr für Schulausflüge
Schulen können mit den Kindern nicht mehr auf die Eisbahn, weil kein Geld für die Schlittschuhmiete und die Busfahrt da ist. Auf Facebook riefen vor ein paar Tagen die Betreiber der Kletterhalle dazu auf, doch mehr bei ihnen zu trainieren, weil sie auf dem Trockenen sitzen. Die Stadtbibliothek, die bis vor kurzem noch jeden Tag neue Bücher bestellte, verkauft jetzt Bestseller von gestern. Das Sinfonieorchester der Oltner Musikschule spielt erstmals nicht vor Publikum. Und der Obernaar bekommt in der Fasnachtswoche im März sicher keinen pompösen Apéro im Hotel Astoria.
Alles, was vertraglich nicht festgehalten oder gesetzlich vorgegeben ist, muss warten. Weil Olten gerade kein rechtskräftiges Budget hat. Und das kam so: Die Mehrheit des Parlaments wollte eine Steuererhöhung. Doch die Bürgerlichen stellten sich quer, sie sammelten Stimmen für ein Referendum. Und waren erfolgreich. Alles hängt nun von der Abstimmung am 24. März ab. Wenn dann die Oltner bereit sind, mehr Steuern zu zahlen, hat die Stadt endlich ein Budget. Wenn nicht, ist alles offen. Und das macht einigen Angst.
Olten ist geübt im Stillstand
«Dann gehts bergab mit uns», sagt ein Einheimischer auf dem Kirchplatz. «Die Stadt würde verfallen.» Er will anonym bleiben, die Oltner kennen ihre Pappenheimer.
Pia Sudan (75) steht zu ihrer Meinung: «Ich fühle mich pudelwohl hier, mit einem kleinen Aber.» Kein Budget ist für sie «ein No-Go». «Der ganze Mais mit dem Referendum kostet auch wieder Geld, wenn wir doch schon keines haben.»
Gelassen bleibt Stadtpräsident Martin Wey (57). «Wir wissen fang, wie es läuft», sagt er in seinem Büro im achten Stock des Stadthauses. Ein Shutdown ist vielleicht für Luzern neu, das ebenfalls stillsteht. Für die 19’000-Seelen-Stadt ist es das zweite Mal innerhalb von fünf Jahren. Man fragt sich: Was ist bloss mit Olten los?
Auf dem Stadthausdach zeigt Wey stolz auf den Bahnhof, die Lind-&-Sprüngli-Fabrik, deren Schoggi man manchmal sogar bis hier herauf rieche, und den prächtigen Hauptsitz von SBB Cargo hinunter. Alpiq, gleich daneben, lässt er links liegen. Weils vielleicht doch ein bisschen wehtut.
Während Jahren versorgte der Stromkonzern die Stadt mit seinen Steuermillionen. Dann gings dem zahlenden Onkel immer schlechter, plötzlich floss kein Geld mehr. Olten steuerte auf ein Defizit von 15,5 Millionen Franken zu – und hatte im Jahr 2014 während Monaten kein Budget mehr. Von da an legte die Politik den Spargang ein und strich grosszügig Ausgaben zusammen. «In der budgetlosen Zeit hatte ich teilweise schlaflose Nächte», erinnert sich Wey.
Dass das Geld fehlt, spürt man auf der Strasse
Von all dem haben sich das Städtchen und seine Oberen zwar auf dem Papier erholt – in den letzten Jahren schrieb man wieder schwarze Zahlen. «Die Nachwehen der Sparmassnahmen sind aber spürbar», sagt Schriftsteller Alex Capus (57). Einer, der zwar bis über die Schweizer Grenzen hinaus grossen Erfolg hat, aber den Puls seiner kleinen Heimatstadt fühlt, alleine deshalb, weil er jeden Mittwoch in seiner Galicia-Bar hinter dem Tresen steht.
«Manchmal sehe ich, dass Randständige im Schlafsack eingehüllt im Schutz der alten Holzbrücke schlafen müssen, weil sie nicht wissen, wo sie hinsollen. Das wäre früher undenkbar gewesen.» Seine Teenagerkinder mussten eine Zeit lang ins 700-Seelen-Nachbardorf ins Jugendzentrum, weil Olten nichts hatte. Im Vergleich zu all dem sind die Pritt-Klebstifte, die jetzt wegen des Shutdowns in der Schule seines Sohnes fehlen, Peanuts.
Trotzdem sieht Capus nicht schwarz: «Man sollte den Stillstand nicht zu hoch hängen. Wir wissen aus Erfahrung, dass man das überlebt.» Und Martin Wey fände es schade, wenn jetzt alle denken, dass der Knotenpunkt der Schweiz nicht lebenswert ist. «Olten ist nicht am Rumpf!»