Die Tat wühlte die ganze Schweiz auf: Thomas N.* (35) hat im Dezember 2015 in Rupperswil AG vier Menschen gefesselt, den jüngsten Sohn sexuell missbraucht und dann allen vier Familienmitgliedern die Kehle durchgeschnitten. Danach zündete er ihr Haus an. Im März 2018 wurde er deswegen vom Lenzburger Bezirksgericht zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe und einer ordentlichen Verwahrung verurteilt.
Die von der Staatsanwaltschaft geforderte lebenslängliche Verwahrung lehnte das Gericht jedoch ab. Dies, weil Thomas N. in den psychiatrischen Gutachten von Josef Sachs und Elmar Habermeyer als therapierbar bezeichnet wurde.
Genau diese Einschätzung wird nun vom renommierten Psychiater Frank Urbaniok in einem Interview scharf kritisiert. Urbaniok war bis 2018 Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Kantons Zürich und schaltet sich nun drei Tage vor der Berufungsverhandlung beim Aargauer Obergericht in die Debatte ein. Am Donnerstag wird der Fall Thomas N. in zweiter Instanz verhandelt.
Das Delikt sei nicht erklärbar
Urbanioks Hauptkritik an den Gutachten: Zwar hätten seine Kollegen bei Thomas N. eine narzisstische oder zwanghafte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert sowie eine Pädophilie erkannt. «Damit kann man das Delikt aber nicht erklären. Es bleibt offen, weshalb er die vier Menschen ermordet hat», so Urbaniok in der «Luzerner Zeitung».
Und darum könne auch keine Therapie vorgeschlagen werden. «Wenn die Diagnosen nicht in der Lage sind, die Tötungen hinreichend zu erklären, dann muss ich als Gutachter sagen: Ich kann weder zur Therapierbarkeit noch zur dauerhaften Untherapierbarkeit irgendetwas sagen.» Darum plädiert Urbaniok für eine lebenslängliche Verwahrung von Thomas N.
Feststellung fachlich nicht abgestützt
Narzissten würden nämlich nicht einfach so morden, so der Psychiater. «Wenn die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung der Grund für das Delikt wäre, dann gäbe es in der Schweiz jede Woche so eine Tat. Das ist zum Glück nicht der Fall», so Urbaniok. Und auch Pädophile bringen in der Regel keine Menschen um.
Ohne Erklärung, warum Thomas N. gemordet hat, können darum keine Aussagen zu einem möglichen Therapieerfolg gemacht werden. Aber genau das taten die beiden Gutachter vor dem Bezirksgericht Lenzburg. So rechnen Sachs und Habermeyer bei N. mit einem Therapieerfolg in einem Zeitraum von «mindestens fünf» oder «fünf bis zehn Jahren». Urbaniok: «Diese Feststellung ist aus meiner Sicht fachlich aber nicht abgestützt!»
Urbaniok hat seine Sicht auch in einem Fachbeitrag festgehalten, der in den nächsten Tagen in einer juristischen Zeitschrift erscheinen wird. Und er schickte diesen Text auch bereits den Gutachtern und der Staatsanwältin. Wird dies den Berufungsprozess am Donnerstag beeinflussen? Urbaniok zur «Luzerner Zeitung»: «Ich sage nur so viel: Mein Beitrag hat zu intensiven Diskussionen geführt.» (fr)