Opfer-Anwalt am Prozess gegen den Aargauer Sex-Sadisten
«Meine Klientin brach zusammen, als sie die Videos sah»

Der Aargauer Sex-Sadist Urs W. (63) steht seit gestern vor dem Bezirksgericht in Brugg. Die Anklageschrift: 44 Seiten dick! Es ist ein Prozess des Grauens. Die Staatsanwältin fordert eine harte Strafe. Der Angeklagte zeigt sich uneinsichtig.
Publiziert: 22.08.2017 um 23:49 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 06:50 Uhr
Ralph Donghi

Die Prozessbeobachter in Brugg AG sind schockiert. Die Anklage gegen Urs W.* (63) ist ein Schriftstück des Grauens! Sieben vorwiegend schwarzafrikanische Frauen soll der Elektroingenieur von 2010 bis 2013 betäubt, teils mehrfach missbraucht und sechs von ihnen gefilmt haben. Seit Dienstag steht der Aargauer Sex-Sadist vor Gericht. Heute Mittwoch hat die Staatsanwaltschaft ihren Strafantrag bekanntgegeben.

Staatsanwältin Flavia Roy fordert 11 Jahre Gefängnis unbedingt plus eine vollzugsbegleitende Massnahme. Sie wirft W. «Grausamkeit» vor. Dass er – wie auf den Videoaufnahmen zu sehen – mit einem sedierten Opfer Geschlechtsverkehr hatte, sei als Vergewaltigung einzustufen. Dass er ihnen die Atemwege blockiert habe, sei teilweise lebensgefährlich gewesen. «Einige Opfer wiesen Zeichen des Erstickens auf.» 

W. habe «mit Vorsatz, skrupellos und zu seinem eigenen Vergnügen» gehandelt.

«Sie mussten nach seiner Pfeife tanzen»

Das Gericht wird von der Staatsanwältin darauf hingewiesen, bei den Aussagen von W. «auf der Hut» zu sein. Roy spricht von einer «stark ausgeprägten Manipulationstendenz» beim Angeklagten. «Die Opfer mussten nach seiner Pfeife tanzen.»

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Urs W. (63) auf dem Weg ins Gericht in Brugg AG.
Foto: Thomas Meier

Da W. möglicherweise nicht alle Übergriffe filmte, könne nicht ausgeschlossen werden, dass ihm noch mehr Frauen zum Opfer fielen. «Die Opfer hatten keinerlei Erinnerungen, deshalb gab es bis zum Auffinden der Videos auch keine Anzeigen.» 

Aus den Aufnahmen geht laut der Staatsanwältin klar hervor, dass ihm einige Opfer unmissverständlich sagten, er solle aufhören.

Ein Opfer-Anwalt erklärt, seine Mandantin hätte sich niemals auf solche Sexspiele eingelassen. Auch nicht für Geld.

Aufgeflogen ist der Sex-Sadist, als seine Hanfanlage im März 2014 entdeckt wurde. Anschliessend wurden bei ihm daheim in Hendschiken AG und in seinen Kellerabteilen in Dottikon AG die selbstgedrehten Sexvideos sowie K.-o.-Tropfen und das Betäubungsmittel Rohypnol gefunden (BLICK berichtete).

Wie der Verteidiger von W. vor Gericht sagt, hat sein Mandant in verschiedenen Apotheken 270 Tabletten Rohypnol zusammengekauft.

Urs W. jammert vor Gericht

Kurz vor 8.15 Uhr erscheint W. gestern erstmals auf dem Anklagestuhl. Im dunklen Anzug und in Polizeibegleitung. Er macht auf Selbstmitleid. «Kann ich ein Hustentäfeli nehmen?», fragt er das Gericht. «Ich habe mit Halsweh zu kämpfen.»

Sein Gejammer geht weiter: Der vorzeitige Vollzug sei eine Katastrophe. W. spricht von «Demütigungen» und sagt: «Wenn ich bewusst schuldig wäre, würde ich das zugeben.» Dann sagt er: «Aber klar: Ich bin kein Engeli.»

Bis zu 2500 Franken bezahlt

Es kommt aus, welche teuflischen Sexphantasien der zum zweiten Mal verheiratete Familienvater bei fast allen Opfern ausgelebt hat. «Bis zu 2500 Franken» habe er den Frauen gegeben. Er spricht über sie wie Ware. Von «Verhandlungen» im Vorfeld, von «Geschäften». Er habe ihnen gesagt, er gebe ihnen «Medikamente», die schläfrig machten. Und auch, dass er sie fesseln, leicht schlagen und mit ihrem Körper spielen werde.

Vor Gericht gibt W. zu, dass er den Frauen verschwiegen hat, dass sie Rohypnol bekämen und er sie filmen werde. Aber er sagt, es seien «nur Dosen von einem Milligramm» gewesen. Und zum Filmen sagt er: «Ich habe so viel Geld bezahlt, dass das auch noch drin lag.»

«Weil ich das mag»

Doch die Videos kann W. nicht schönreden. Man sieht darauf, wie er den Frauen teils die Atemwege versperrt – mit einem Dildo, Ball oder seinem Penis. Zudem hält er einem Opfer gleichzeitig Mund und Nase zu. W. misshandelt eine Frau auch mit Elektroschocks. Eine andere quält er mit einer Vakuumpumpe. «Weshalb tust du mir das an?», schreit sie. W.: «Weil ich das mag.»

W. sagt dazu nur: «Es war niemand in Gefahr.» Es sei vielleicht moralisch verwerflich, was er gemacht habe. Aber wieder: «Ich habe für die Frauen bezahlt.»

Viele Ausreden

Zum sichergestellten Material behauptet W.: Die Kinderpornos seien per Zufall auf seinem PC gelandet. Dokumente zu den Vergewaltigungsdrogen GBL und GHB habe er aus Interesse gelesen. Ein Rohypnol-Arztzeugnis habe er für seinen Eigenkonsum zwölfmal kopiert. Unterhaltspflichten für seine Tochter, deren Namen er nicht mehr weiss, habe er nach einem Auftrag zahlen wollen. Nur die Hanfanlage gibt W. zu. Sein Motiv: Geld.

Am Ende des ersten Prozesstages entschuldigt sich Urs W., «falls ich rüpelhaft rüberkam».

Die Verteidigung fordert eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten. W. sitzt bereits seit etwa drei Jahren im vorzeitigen Haftvollzug.

«Das Gericht würde mir eh nicht glauben»

Am Ende des zweiten Prozesstages hat W. die Möglichkeit auf ein Schlusswort. Der Angeklagte hält das Statement auf Hochdeutsch. Es dauert rund 10 Minuten. Dabei entschuldigt er sich zwar dafür, dass er seine Opfer beim Sex mit ihm filmte. Doch sonst zeigte er keine Einsicht: «Ich habe mich dazu entschlossen, mich nicht für die sexuellen Handlungen zu entschuldigen. Das Gericht würde mir eh nicht glauben.» Seiner Ansicht nach sind die Opfer selber schuld: Jede Frau habe vier Mal die Möglichkeit gehabt, Nein zu sagen.

Der Anwalt eines Opfers, Johannes Helbling, betont gegenüber dem BLICK, seine Mandantin sei immer noch schwer traumatisiert. Als sie das Video anschaute, das W. mit ihr gedreht hatte, sei sie «zusammengebrochen». Die Anhörung habe man unterbrechen müssen. «Seither ist es ihr sehr schlecht gegangen.»

Das Urteil fällt am Montag.

* Name der Redaktion bekannt

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