Professor über die lebenslange Strafe und ordentliche Verwahrung des Killers
«Das sind zwei vollkommen verschiedene Ideen»

Der Vierfach-Mörder von Rupperswil hat lebenslänglich plus ordentliche Verwahrung kassiert. Aber was heisst das? Wird Thomas N. jemals für immer hinter schwedischen Gardinen schmoren? Strafrechts-Professor Mark Pieth erklärt, was den Vierfach-Mörder jetzt erwartet.
Publiziert: 17.03.2018 um 16:47 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 20:30 Uhr
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Wurden in ihrem eigenen Haus ermordet: Carla Schauer (Mitte, †48) mit ihren beiden Söhnen Davin (l., †13) und Dion (r., †19).
Foto: ZVG
Johannes Hillig

Brutal, berechnend und erbarmungslos: Im Dezember 2015 tötet Thomas N.* (34) vier Menschen, löscht eine Familie aus. Seine Opfer: Carla Schauer (†48), ihre zwei Söhne Dion (†19) und Davin (†13) sowie die Freundin von Dion, Simona F.* (†21). Ausserdem vergeht er sich an Davin, missbraucht ihn.

Diese Woche wurde N. der Prozess gemacht. Am Freitag fiel das Urteil: Lebenslänglich plus ordentliche Verwahrung! Ausserdem wurde eine ambulante Therapie angeordnet. Aber: Keine lebenslängliche Verwahrung. Dafür hätten die beiden Gerichts-Psychiater den Vierfach-Mörder als nicht therapierbar einstufen müssen. Bedeutet das also, dass Thomas N. nicht für immer weggesperrt wird? Könnte der Mörder und Kinderschänder wieder auf freien Fuss kommen?

Gesellschaft soll geschützt werden

Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen Strafe und Massnahme. «Das sind zwei vollkommen verschiedene Ideen. Mit der lebenslänglichen Strafe soll Thomas N. für seine Taten bezahlen, die ordentliche Verwahrung dagegen soll die Gesellschaft vor ihm schützen», sagt Strafrechts-Professor Mark Pieth von der Uni Basel zu BLICK.

«Der Fall Thomas N. wird erst in zwanzig Jahren wieder angeschaut, sagt Mark Pieth, Professor für Strafrecht an der Universität Basel.
Foto: zVg

Das heisst: Zuerst muss Thomas N. die Strafe absitzen, und erst dann greift die ordentliche Verwahrung. Entscheidend ist dann: Ist Thomas N. immer noch gefährlich? Wird er wieder töten, wieder ein Kind sexuell missbrauchen?

Wann und ob die Strafe abgesessen ist, entscheidet das Amt für Justizvollzug Aargau. Die Kriterien: Gutachten und Einschätzungen von Experten. Im Fall von Thomas N. ist eine solche Prüfung frühestens in 13 Jahren möglich. Dies, weil er bereits zwei Jahre abgesessen hat, während er auf seinen Prozess wartete. Nach Meinung von Mark Pieth wird dies aber deutlich länger dauern. «Ich schätze, dass der Fall Thomas N. erst in zwanzig Jahren wirklich zur Sprache kommen wird.»

«Nahe an der Todesstrafe»

Sollte der Vierfach-Mörder aber wirklich seine Strafe abgesessen haben, beginnt die ordentliche Verwahrung. Auch hier besteht die Möglichkeit, entlassen zu werden. Doch dafür müssen erst viele Instanzen überzeugt werden. Für das Gericht, welche die Verwahrung angeordnet hat, gibt es daher folgende vier Hilfestellungen:

  • Erster Punkt: die Anhörung einer Kommission. Dort sitzen Vertreter der Strafverfolgungsbehörden, der Vollzugsbehörden sowie der Psychiatrie. Wichtig: Diese Personen dürfen den Täter weder behandelt noch betreut haben. Sie sollen objektiv seinen Fall betrachten.
  • Zweiter Punkt: Anhörung des Täters. Hier kann er erklären, weshalb keine Rückfallgefahr mehr besteht.
  • Dritter Punkt: der Bericht der Anstaltsleitung.
  • Vierter und letzter Punkt: ein unabhängiges psychiatrische Gutachten. Basierend auf diesen Einschätzungen trifft das Gericht seine Entscheidung. 
Hier wird das Urteil im Rupperswil-Prozess verkündet: Thomas N. steht auf, als der Richter die lebenslängliche Haftstrafe plus ordentlicher Verwahrung verhängt.
Foto: Igor Kravarik

Dieses Prozedere geschieht erst nach einer Probezeit von zwei bis fünf Jahren. In dieser Zeit muss der Täter zeigen, dass er für die Gesellschaft keine Gefahr mehr darstellt. Fällt das Urteil negativ aus, wiederholt sich die Prüfung jährlich. 

Das heisst also: Es ist möglich, dass Thomas N. wieder aus dem Knast kommt. Aber: Dazwischen liegen sehr zahlreiche Stationen. Dass Thomas N. theoretisch auf freien Fuss kommen könnte, findet der Basler Strafrechts-Professor aber wichtig. «Könnte man einen Menschen einfach so für immer wegsperren, dann wären wir sehr nahe an der Todesstrafe. Hier muss der Rechtsstaat seine Funktionalität beweisen.»

* Namen der Redaktion bekannt
Der Fall

Die Feuerwehrmänner sind die Ersten, die das Grauen zu Gesicht bekommen. Vier verkohlte Leichen. Es handelt sich um Carla Schauer (†48), Sohn Davin (†13), Sohn Dion (†19) und seine Freundin Simona (†21). Es ist der 21. Dezember 2015, ein Montag. Der Tag geht in die Schweizer Kriminalgeschichte ein. Der Mörder ist Thomas Nick (heute 35). Schweizer, Junggeselle, unscheinbar. Er wohnte 500 Meter vom Tatort entfernt. Mit einer List schlich er sich ins Haus. Während er die übrigen Fami­lienmitglieder gefangen hält und bedroht, liess er Carla Schauer Bargeld besorgen. Dabei plante er die Tötung aller Anwesenden von Anfang an. Den jüngeren Sohn missbraucht er. Alle waren gefesselt und geknebelt worden, bevor er ihnen die Kehle durchschnitt. Die Leichen übergoss er mit Brandbeschleuniger und steckte sie in Brand. Rund ein halbes Jahr nach dem Verbrechen wird Nick in einem Café verhaftet. Er legt ein Geständnis ab. Wie man ihm auf die Schliche kam, sagt die ­Polizei nicht. Technische Mittel spielten eine Rolle, die Fahnder werteten Daten von 30000 Handynutzern aus. – Nick hatte wohl weitere Taten geplant.

Die Feuerwehrmänner sind die Ersten, die das Grauen zu Gesicht bekommen. Vier verkohlte Leichen. Es handelt sich um Carla Schauer (†48), Sohn Davin (†13), Sohn Dion (†19) und seine Freundin Simona (†21). Es ist der 21. Dezember 2015, ein Montag. Der Tag geht in die Schweizer Kriminalgeschichte ein. Der Mörder ist Thomas Nick (heute 35). Schweizer, Junggeselle, unscheinbar. Er wohnte 500 Meter vom Tatort entfernt. Mit einer List schlich er sich ins Haus. Während er die übrigen Fami­lienmitglieder gefangen hält und bedroht, liess er Carla Schauer Bargeld besorgen. Dabei plante er die Tötung aller Anwesenden von Anfang an. Den jüngeren Sohn missbraucht er. Alle waren gefesselt und geknebelt worden, bevor er ihnen die Kehle durchschnitt. Die Leichen übergoss er mit Brandbeschleuniger und steckte sie in Brand. Rund ein halbes Jahr nach dem Verbrechen wird Nick in einem Café verhaftet. Er legt ein Geständnis ab. Wie man ihm auf die Schliche kam, sagt die ­Polizei nicht. Technische Mittel spielten eine Rolle, die Fahnder werteten Daten von 30000 Handynutzern aus. – Nick hatte wohl weitere Taten geplant.

Die Chronologie der Ereignisse
  • 21. Dezember 2015: Der Vierfachmord von Rupperswil AG erschüttert die Schweiz.
     
  • 24. Dezember 2015: Die Polizei fahndet nach dem Vierfachmörder – unter anderem mit Flugblättern.
     
  • Januar 2016: Für die vier Opfer finden die Trauerfeiern statt.
     
  • 18. Februar 2016: Die Behörden setzen an einer Medienkonferenz eine Belohnung von 100'000 Franken für den entscheidenden Hinweis aus.
     
  • April 2016: Der Fall wird als Beitrag für ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY...ungelöst» geplant.
     
  • 12. Mai 2016: Thomas N.* wird im Starbucks in Aarau verhaftet.
     
  • 13. Mai 2016: Die Behörden informieren mit einer Pressekonferenz über die Verhaftung.
     
  • 16. Mai 2016: Es wird bekannt, dass Renate Senn die Pflichtverteidigerin von Thomas N. wird.
     
  • Später: Thomas N. sitzt in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg AG in Haft und wird für mehrere 10'000 Franken pro Monat rund um die Uhr überwacht – wegen Suizidgefahr!
     
  • Februar 2017: Thomas N. wird versetzt. Er kommt in die Justizvollzugsanstalt Pöschwies nach Regensdorf ZH.
     
  • 11. Mai 2017: Die Gutachten der beiden unabhängigen Gutachter liegen vor. Diese braucht es, damit das Gericht eine allfällige lebenslange Verwahrung anordnen könnte.
     
  • 7. September 2017: Die Aargauer Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Vierfach-Killer.
     
  • 13. März 2018: Der Prozess gegen Thomas N. beginnt. Er ist für vier Tage anberaumt.
     
  • 16. März 2018: Das Urteil gegen Thomas N. soll verkündet werden.

*Name der Redaktion bekannt

  • 21. Dezember 2015: Der Vierfachmord von Rupperswil AG erschüttert die Schweiz.
     
  • 24. Dezember 2015: Die Polizei fahndet nach dem Vierfachmörder – unter anderem mit Flugblättern.
     
  • Januar 2016: Für die vier Opfer finden die Trauerfeiern statt.
     
  • 18. Februar 2016: Die Behörden setzen an einer Medienkonferenz eine Belohnung von 100'000 Franken für den entscheidenden Hinweis aus.
     
  • April 2016: Der Fall wird als Beitrag für ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY...ungelöst» geplant.
     
  • 12. Mai 2016: Thomas N.* wird im Starbucks in Aarau verhaftet.
     
  • 13. Mai 2016: Die Behörden informieren mit einer Pressekonferenz über die Verhaftung.
     
  • 16. Mai 2016: Es wird bekannt, dass Renate Senn die Pflichtverteidigerin von Thomas N. wird.
     
  • Später: Thomas N. sitzt in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg AG in Haft und wird für mehrere 10'000 Franken pro Monat rund um die Uhr überwacht – wegen Suizidgefahr!
     
  • Februar 2017: Thomas N. wird versetzt. Er kommt in die Justizvollzugsanstalt Pöschwies nach Regensdorf ZH.
     
  • 11. Mai 2017: Die Gutachten der beiden unabhängigen Gutachter liegen vor. Diese braucht es, damit das Gericht eine allfällige lebenslange Verwahrung anordnen könnte.
     
  • 7. September 2017: Die Aargauer Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Vierfach-Killer.
     
  • 13. März 2018: Der Prozess gegen Thomas N. beginnt. Er ist für vier Tage anberaumt.
     
  • 16. März 2018: Das Urteil gegen Thomas N. soll verkündet werden.

*Name der Redaktion bekannt

Das ist bekannt, das ist unklar

Das ist im Fall bekannt: 

  • Zu Hause bei Thomas N. wurde ein Rucksack mit Fesselutensilien und einer Pistole gefunden.
  • Er hatte bereits die nächste Tat geplant. Der pure Zufall soll weitere Morde verhindert haben.
  • Auf elektronischen Geräten entdeckten die Ermittler umfangreiches kinderpornografisches Material.
  • Das Küchenmesser, mit dem er die Morde begangen hat, soll er nach den Taten in einem öffentlichen Abfalleimer in Aarau entsorgt haben – eingewickelt in Geschenkpapier. Es wurde bis heute nicht gefunden.
  • Die Anklage gegen Thomas N. umfasst zahlreiche Vergehen: mehrfacher Mord, mehrfache räuberische Erpressung, mehrfache Freiheitsberaubung, mehrfache Geiselnahme, mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind, mehrfache sexuelle Nötigung, Brandstiftung, mehrfache Pornografie, mehrfache Urkundenfälschung – und mehrfache strafbare Vorbereitungshandlungen.

Das ist noch unklar:

  • Wie kamen die Ermittler Thomas N. auf die Schliche?
  • Wurden im Tathaus Haare der beiden Huskies von Thomas N. gefunden?
  • Warum ging N. am Tatmorgen erst ins Haus, nachdem der Lebenspartner von Carla Schauer das Haus verlassen hatte und zur Arbeit ging?
  • Weshalb hatte er ausgerechnet Familie Schauer bzw. Sohn Davin ins Visier genommen? Welche Rolle spielt der Fussballverein?
  • Hat er im Gefängnis einen Suizidversuch hinter sich, wie lebt er hinter Gittern?
  • Bereut der Killer seine Taten?

Das ist im Fall bekannt: 

  • Zu Hause bei Thomas N. wurde ein Rucksack mit Fesselutensilien und einer Pistole gefunden.
  • Er hatte bereits die nächste Tat geplant. Der pure Zufall soll weitere Morde verhindert haben.
  • Auf elektronischen Geräten entdeckten die Ermittler umfangreiches kinderpornografisches Material.
  • Das Küchenmesser, mit dem er die Morde begangen hat, soll er nach den Taten in einem öffentlichen Abfalleimer in Aarau entsorgt haben – eingewickelt in Geschenkpapier. Es wurde bis heute nicht gefunden.
  • Die Anklage gegen Thomas N. umfasst zahlreiche Vergehen: mehrfacher Mord, mehrfache räuberische Erpressung, mehrfache Freiheitsberaubung, mehrfache Geiselnahme, mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind, mehrfache sexuelle Nötigung, Brandstiftung, mehrfache Pornografie, mehrfache Urkundenfälschung – und mehrfache strafbare Vorbereitungshandlungen.

Das ist noch unklar:

  • Wie kamen die Ermittler Thomas N. auf die Schliche?
  • Wurden im Tathaus Haare der beiden Huskies von Thomas N. gefunden?
  • Warum ging N. am Tatmorgen erst ins Haus, nachdem der Lebenspartner von Carla Schauer das Haus verlassen hatte und zur Arbeit ging?
  • Weshalb hatte er ausgerechnet Familie Schauer bzw. Sohn Davin ins Visier genommen? Welche Rolle spielt der Fussballverein?
  • Hat er im Gefängnis einen Suizidversuch hinter sich, wie lebt er hinter Gittern?
  • Bereut der Killer seine Taten?
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