Im Saal von Schafisheim AG sucht man sie vergebens. Deborah und Jessica S. (29 und 26) sind nicht aus dem Tessin angereist. Und doch sind die Halbschwestern der Opfer von Rupperswil AG, Davin (†13) und Dion (†19) indirekt dabei, als Vierfach-Killer Thomas N. vor Gericht steht.
Die beiden Frauen haben den Tessiner Anwalt Carlo Borradori (49) zum Prozess geschickt. Er ist ihre Stimme. Er hat für sie in die Augen des Killers geschaut. Und er hat Thomas N. ihre Botschaft überbracht: Es gibt keine Vergebung für die bestialischen Morde an ihren geliebten Brüdern. Dem Täter sagt Carlo Borradori am Mittwoch ins Gesicht: «Die Schwestern werden Ihren Brief mit der Bitte um Entschuldigung nicht lesen.»
«Deborah und Jessica S. sind vom Schmerz zerstört», sagt Carlo Borradori zu BLICK, «sie haben nicht die Kraft, dem Prozess zu folgen, dem Täter gegenüberzustehen.» Und doch, so der Anwalt aus Locarno, wollen sie Präsenz zeigen. Aus Respekt und aus Liebe zu ihren Brüdern. Und aus Dankbarkeit für die exzellente Arbeit der Polizei und der Staatsanwaltschaft.
Die Schwestern standen den Opfern sehr nahe
«Meine Mandantinnen wollen über alles informiert sein. Direkt. Was der Täter sagt, der Richter, die Gutachter, die Anwälte. Ohne Filter», sagt der Anwalt weiter, «ich bin ständig mit ihnen übers Handy in Kontakt.»
Die beiden Frauen leben im Südtessin. Sie standen den Opfern Davin und Dion sehr nahe. Sie haben den gleichen Vater. Trotz der Entfernung zwischen dem Tessin und dem Aargau war der Kontakt unter den Halbgeschwistern sehr eng. Früher seien sie oft gemeinsam in die Ferien gefahren, erzählt Carlo Borradori.
Deborah kennt den Tatort. Die Ältere der beiden Schwestern hatte ein Jahr im Einfamilienhaus in Rupperswil gelebt, bevor sich ihr Vater und Carla Schauer trennten. «Sie hatten bis zum Schluss ein enges Verhältnis mit ihren Brüdern», sagt Carlo Borradori, «einen Monat vor dem grausamen Mord haben sie sich noch mit Dion in Zürich getroffen.»
«Der Richter wird das richtige Urteil fällen»
Carlo Borradori sitzt nur fünf Meter vom Angeklagten entfernt. Während seines Kurzplädoyers stockte seine Stimme. Noch nie habe es in der Schweiz ein solches Verbrechen gegeben, sagt Borradori zu BLICK. Die Perversion, der Sadismus, die Kaltblütigkeit. Der Horror.
Im Auftrag der Schwestern richtet er seinen Blick auf den Täter. Thomas N. wirkt wie ein ganz normaler Mann. «Absurd», sagt Borradori. Besonders erschüttert habe ihn die Ruhe des Täters. Carlo Borradori zeigt sich optimistisch: «Ich habe Vertrauen in die Justiz. Sie wird das richtige Urteil fällen.»
* Name der Redaktion bekannt
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