Der 85-jährige Rentner Walter B.* ist heute ein gebrochener Mann. Seit über zwei Jahren leidet er unter einem Vorfall, der auf den ersten Blick eine Bagatelle ist. Am 28. Mai 2016 kaufte er im Denner im Aarauer Telli ein. In seiner Einkaufstasche mit Waren für 120 Franken entdeckte ein übereifriger Security eine unbezahlte Packung Reibkäse, eingeklemmt zwischen dem Boden und der Kartonverstärkung. Warenwert: 1,95 Franken.
Der Vorfall zog einen Rattenschwanz von Gerichtsverhandlungen und Hausverboten nach sich. Der bis dahin unbescholtene pensionierte Verkehrspolizist ist plötzlich vorbestraft und hat Geldprobleme. Gegen 10'000 Franken zahlte der B. für Anwalts- und Gerichtsgebühren. Die «Aargauer Zeitung» deckte den Fall auf, nachdem sich der Rentner gemeldet hatte. «Ich konnte mit der Schande nicht mehr leben. Es ist einfach ungerecht. Wo bleibt da der Anstand?», sagt er zu BLICK.
Denner übernimmt alle Kosten
Denner erlebt wegen dem Fall einen riesigen Shitstorm, obwohl die Geschäftsleitung prompt auf den Bericht reagiert. «Es ist schwer nachzuvollziehen, was vor zwei Jahren passiert ist», sagt Denner-Sprecher Thomas Kaderli. «Aber wir wollen Walter B.* möglichst schnell und unbürokratisch helfen. Wir übernehmen alle Kosten und entschuldigen uns.» Man könne aus heutiger Sicht sagen, dass Denner Fehler gemacht hatte.
Denner hat schon vor einiger Zeit nicht nur personelle Änderungen beim eigenen Sicherheitsdienst vorgenommen, sondern auch Bestimmungen zum Hausverbot überarbeitet. So wollen wir sicherstellen, dass ein Fall wie derjenige in Aarau künftig nicht mehr möglich ist.
Der 85-Jährige ist sich insgesamt keiner Schuld bewusst. Er hat keine Ahnung, wie der Käse in die Tasche kam. Er vermutet, ihn schon früher mal gekauft und in der Tasche vergessen zu haben. Als es passierte, wehrte er sich gar nicht gegen die Vorwürfe des Sicherheitsangestellten. «Ich wollte einfach nur schnell zu meiner kranken Frau nach Hause», sagt er zu BLICK. Er zahlte dem Wachmann die verlangten 150 Franken und unterschrieb die Papiere, die dieser ihm vorlegte.
Gleicher Security, neues Problem
Zwei Monate später gerät er an den gleichen Sicherheitsmann, der ihn bereits in Aarau kontrolliert hatte. Dieses Mal im Wynecenter in Buchs AG. «Ich schaute mir nur die Gemüseauslage beim Denner an. Ich bemerkte gar nicht, dass ich schon auf Denner Boden stand», sagt der Rentner. Der Security habe ihn dann auch in der Migros bespitzelt, sei ihm bis zum Auto im Parkhaus gefolgt und habe dort sein Kennzeichen fotografiert, so der Senior. Zum Abschied sagte der Security, er werde die Polizei anrufen.
Drei Monate später flattert dem Rentner ein Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau ins Haus. Der Vorwurf: Hausfriedensbruch. Im Rapport steht, der 85-Jährige habe sich unerlaubt im Eingangsbereich des Denners aufgehalten. Das Problem: Er sei beim Betrachten der Früchte und Gemüse nicht auf den beigen Bodenplättli des Einkaufszentrums gestanden, sondern habe seinen Fuss auf die grauen Plättli, die bereits zum Denner gehören, gesetzt.
Bezirksgericht spricht Rentner frei
Die Staatsanwaltschaft verurteilt ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 500 Franken. Über 1000 Franken Gebühren muss er aber in jedem Fall zahlen. Der Rentner ficht den Strafbefehl an. Er habe nicht wissen können, welche Platten für ihn tabu seien. Im Februar 2017 kommt es zur Verhandlung vor dem Bezirksgericht. Der Mann hat Glück: Der Gerichtspräsident Andreas Schöb spricht ihn von Schuld und Strafe frei. Denn die Aufnahmen der Überwachungskamera hätten keine schlüssige Antwort liefern können.
Ausserdem habe der Unterzeichner des Strafantrags, der stellvertretende Leiter des Sicherheitsdienstes, gar nicht über diese Vollmacht der Denner AG verfügt. Somit sei der Antrag sowieso ungültig.
Obergericht verurteilt Rentner zu Geldstrafe
Die Staatsanwaltschaft sieht das anders, zieht den Fall ans Obergericht weiter und erhält dort im November 2017 recht. Oberrichterin Franziska Plüss spricht den Senior schuldig. Die Begründung: Der stellvertretende Leiter sei doch berechtigt gewesen, den Strafantrag zu unterschreiben. Der Rentner wird zu einer bedingten Geldstrafe von 150 Franken verurteilt. Die Gerichts- und Anwaltskosten in Höhe von 2500 Franken muss er zusätzlich berappen.
Am Ende habe ihn der 1.95 Franken teure Käse fast 10'000 Franken gekostet, sagt der Rentner. Ans Bundesgericht wollte er den Fall nicht mehr weiterziehen. Er hatte keine Kraft mehr, und auch das verlorene Geld schmerze genug.
Walter B.* weiss noch gar nichts von seinem Glück. Weil er am Telefon nichts versteht, konnte Denner ihm die gute Nachricht noch nicht überbringen. Vermutlich wird ihn seine Anwältin persönlich informieren.
* Name bekannt