Dank der «stillen Stunde» kann sie alleine einkaufen
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Julia Meier hat Asperger:Dank der «stillen Stunde» kann sie alleine einkaufen

Ihren Alltag meistert die Zürcherin (23) trotzdem allein
«Hallo, ich bin Julia Meier und habe Asperger»

Zu viele Farben oder zu viele Geräusche überfordern sie – dafür haben Menschen mit dem Asperger-Syndrom Inselbegabungen. Wie es sich damit lebt, erzählt Julia Meier (23) aus Bonstetten ZH. Dank der «stillen Stunden» im Spar kann sie auch allein einkaufen gehen.
Publiziert: 09.05.2022 um 01:21 Uhr
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Aktualisiert: 09.05.2022 um 06:12 Uhr
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Autistin Julia Meier (23) aus Bonstetten hat das Asperger-Syndrom.
Foto: Philippe Rossier
Céline Trachsel

Jemandem in die Augen zu sehen, falle ihr schwer, erklärt die Zürcherin (23). «Ich bin Julia Meier und habe eine leichte Form des Asperger-Syndroms.» Diese Unterform des Autismus hatte etwa Albert Einstein, auch Greta Thunberg lebt damit. «Wir haben Inselbegabungen, bei mir sind es Daten und Mathematik», erzählt Meier. Sie brauche keine Agenda, könne sich alles merken – auch alle Details von Gesprächen und Ereignissen speichere sie in ihrem Langzeitgedächtnis.

Das Leben mit Asperger bringt aber auch einige Tücken mit sich. «Ich kann Sarkasmus und Zynismus nicht erkennen. Auch bin ich manchmal patzig, ohne dass es so gemeint ist.» Zudem falle es ihr manchmal schwer, sich zu konzentrieren. Zu grelle Farben triggern sie im Alltag, und Geräusche lenken sie stark ab. «Bei der Arbeit höre ich deshalb einfach für mich etwas Musik. Müsste ich ständig anderen Gesprächen lauschen, wäre das Horror.»

«Ich kann meinen Alltag meistern»

Seit über einem halben Jahr wohnt Julia Meier in einer eigenen Wohnung. Das ist für Autisten bei weitem keine Selbstverständlichkeit. «Aber ich kann meinen Alltag meistern», sagt die Metallbaukonstrukteurin. Spontaneität falle ihr dagegen schwer. «Es muss alles seinen Platz haben und alles nach Plan laufen – sonst bin ich überfordert.» Zum Putzen und Waschen hat sie einen Wochenplan, und sie halte sich strikt daran.

Einen grossen Teil vom Leben auf eigenen Beinen machen die Organisation des Haushalts und das Einkaufen aus. «Das ist gar nicht so einfach. Mir fällt es schwer, mich nicht von Geräuschen, Farben oder sinnlosen Anordnungen von Dingen im Laden ablenken zu lassen.» Auch eine Auswahl zu treffen zwischen ähnlichen Produkten, wird zur Herkulesaufgabe. Deshalb geht sie nur in Läden, die sie gut kennt, oder sie nimmt eine Begleitung mit.

Stille Stunden: Weniger Licht und Geräusche

Seit einiger Zeit haben ausgewählte Spar-Filialen in der Schweiz die stillen Stunden eingeführt – ein Angebot extra für Autisten. Die Filialen, die mitmachen, dimmen an einzelnen Wochentagen für ein paar Stunden das Licht, schalten die Musik ab und verzichten auf Lautsprecherdurchsagen. Weil das Personal in dieser Zeit keine Regale auffüllt, haben sie mehr Zeit für Kunden wie Julia Meier.

In Bonstetten ZH, wo Meier kürzlich hingezogen ist, gibt es diese stillen Stunden. «Ich bin sehr dankbar für das Angebot», sagt sie. «So kann ich mich darauf konzentrieren, was ich brauche, und habe den Einkauf schnell erledigt. Die Früchte werden nicht so grell angeleuchtet, und mich lenken keine Durchsagen ab. Es ist nicht so eine Reizüberflutung wie sonst in den grossen Läden – ich habe mehr Ruhe.»

Spontane Homepartys gibts bei Meier nicht

Spar will die stillen Stunden beibehalten und gar weiter ausbauen. Das Pilotprojekt war Ende 2021 abgeschlossen und hatte für viel positive Resonanz gesorgt. Meier: «Ich hoffe, dass auch andere Läden das einführen. Nicht nur für Autisten, sondern für alle, denen der Einkauf mit all der Reizüberflutung einfach etwas viel ist.»

Wo sie die Snacks für eine Party in ihrer neuen Wohnung kaufen würde, ist für Julia Meier klar: In «ihrem» kleinen Spar im Dorf. Aber spontan eine solche zu schmeissen, käme ihr nie in den Sinn. «So was müsste schon sehr gut geplant werden!»

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