Der Vierfach-Killer von Rupperswil AG, Thomas N.*, steht ab morgen Dienstag vor Gericht. Sie haben die Anklageschrift gelesen. Was sticht Ihnen ins Auge?
Thomas Knecht: Die Anklageschrift eröffnet den Blick auf einen aussergewöhnlich grausamen Tatbestand, aber auch auf eine aussergewöhnliche Vorgeschichte und Entwicklung des Täters. Ausser Betrug und Täuschung hatte N. bis zur Tat nichts auf dem Kerbholz. Dann plötzlich beging er alle diese Tatbestände aufs Mal: Er tötete vier Menschen, raubte sie aus, verging sich sogar sexuell an einem der Opfer.
Was sagt das über den Täter?
Seine Kaltblütigkeit ist bemerkenswert. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass er eine solche Tat ohne Anlaufphase, bei der er seine Grausamkeiten ausprobieren konnte, beging. Dass er nicht von Angst und Spannung erfasst war, zeigt auch der Umstand, dass er innerlich von einer aggressiven Handlung zu sexuellen Handlungen umstellen konnte. Seine Risikobereitschaft war zudem aussergewöhnlich hoch. Selbst seine eigene Existenz scheint ihm egal gewesen zu sein.
Was war das Hauptmotiv für N.? Die Gier nach Geld oder die Befriedigung seiner pädophilen Triebe?
Ich glaube, in diesem Fall muss man von einem Bündel an Motivationen reden, die insgesamt auf die Befriedigung der eigenen Triebe hinzielen. Die wirtschaftliche Lage hat N. sicher gedrängt. Wie prekär diese genau war, ist mir nicht klar. Gleichzeitig war das sexuelle Motiv wegleitend. Für die Wahl der Opfer war es vielleicht sogar die Hauptursache.
Bei der Planung seines Verbrechens ging N. äusserst präzise vor ...
Die generalstabsmässige Planung ist überdurchschnittlich. Was mich erstaunt, ist, dass der Täter offensichtlich ein perfektes Verbrechen begehen wollte. Das souveräne Vorgehen beinhaltete sogar eine schauspielerische Leistung. Die hohe Selbsteinschätzung führte jedoch zwangsmässig zu einer auch für ihn verhängnisvollen Selbstüberschätzung.
Nach der Tat ging sein Leben weiter wie zuvor. N. ging nach dem Blutbad mit seiner Mutter und seinen Hunden spazieren.
Die Tat hat ihn emotional zumindest nicht im negativen Sinn beeinflusst. Er ging mit einem neutralen, vielleicht sogar positiven Gefühl weiter. Das zeigt, was N. für ein skrupelloser Mensch ist.
N. fasste weitere Opfer ins Auge. Ist es richtig, dass die Behörden diese Leute informierten?
Ich sehe hier kein allgemeingültiges Rezept. Das muss von Fall zu Fall beurteilt werden.
Was passiert mit diesen Menschen?
Das fährt natürlich heftig ein: Nur durch tüchtige Ermittlungsarbeiten blieb einem ein grausames Schicksal erspart! Das ruft eine Mischung zwischen Erschrecken und Erleichterung in einem hervor.
Wie kann man Leute in dieser Situation unterstützen?
Die Erschütterung ist psychologisch aufzufangen. Diese Menschen müssen die Möglichkeit haben, ihre Nöte auszudrücken. Im besten Fall können die Probleme somit behoben werden. Es kann aber – je nach Veranlagung der betroffenen Person – auch zu sogenannten Anpassungsstörungen kommen: Die Weltsicht wird komplett umgestülpt, das Sicherheitsgefühl geht verloren. Das äussert sich in Schlaflosigkeit und Depression. Unter Umständen wird man das über längere Zeit nicht los. Glücklicherweise klingen dramatische Schockerlebnisse normalerweise ab, wenn das Leben wieder in normale Bahnen geleitet wird und keine zusätzlichen traumatischen Erlebnisse dazukommen.
* Name der Redaktion bekannt