Am Donnerstag um 8.53 Uhr war Thomas N. (33) zum letzten Mal online. Dann kappten die Ermittler seine Verbindungen zur Aussenwelt.
Verhaftet wurde er im Raum Aarau. Wenig später fährt ein Grossaufgebot der Polizei am Distelweg 5 in Rupperswil AG vor. Beamte stürmen das Einfamilienhaus, durchsuchen alle Zimmer, den ganzen Tag, bis morgens um vier Uhr. Sie werden fündig: N. ist ganz offenbar der Mann, nach dem die Schweiz seit dem 21. Dezember 2015 suchte. Vier Menschen hat er kaltblütig ermordet. Nach aussen führte er – auch danach – ein unfassbar normales Leben.
Niemand, der Thomas N. kannte, hätte damit gerechnet, dass sich hinter der freundlichen Fassade ein eiskalter Killer verbirgt. Seine Familie: gut bürgerlich. Die Mutter (60) arbeitete im Spital, der Vater († 58) war ETH-Ingenieur und als Aargauer Kantonsgeometer tätig. 2011 starb er plötzlich an einem Herzinfarkt.
N.s älterer Bruder Marco (34) lebt mit seiner Familie in Aarau. Doch Thomas gefiel es im Hotel Mama. In Rupperswil besuchte er die Primarschule, später die Bezirksschule in Lenzburg. Schulkameraden erinnern sich an einen freundlichen, aber sehr introvertierten jungen Mann. Mehr möchten sie nicht erzählen. «Wir wollen ihn einfach nur vergessen.»
Wenn ihn jemand fragte, gab N. an, er studiere. Mal Medizin, mal Jura. Er lebte für den Fussball, engagierte sich als Juniorentrainer. Bis 2008 war er beim FC Rothrist, danach beim SC Seengen aktiv.
Rund 20 Minuten musste er jeweils mit dem Auto fahren – eine bewusste Entscheidung. «Er wollte seinen Wohnort und sein Engagement für den Fussball klar trennen», so Roland Wenger (55) vom SC Seengen. Der Club fragte nicht nach, warum auch? «Es gab nie eine Reklamation, einen Hinweis von den Spielern oder den Eltern zu Thomas N.»
Noch am Mittwoch besuchte er das Spiel der Junioren. Ein Vater war krank geworden, N. sprang als Betreuer ein. Er lebte sein Leben einfach weiter. Seelenruhig. Als sei nichts passiert.
Nur wenige Hundert Meter sind es von dem Haus, in dem Thomas N. mit seiner Mutter lebte, bis zum Haus der Familie Schauer. Jenem Ort, an dem er am Morgen des 21. Dezember 2015 Blut, Tod und Zerstörung hinterliess. Der Vierfachmord von Rupperswil ist das brutalste Verbrechen, das die Schweiz seit langem gesehen hat. N. fühlte sich trotzdem sicher.
Beinahe täglich ging er am Tatort vorbei, mit seinen beiden Huskys, wie Dutzende Hündeler auch. «Er trug immer Dächlikappe und Kopfhörer», sagt ein Mann. «Er wirkte verschlossen, sagte nur kurz Grüezi.» Keiner in Rupperswil hätte gedacht, dass der Mörder mitten unter ihnen ist. Maria Mestre (56) war mit Carla Schauer († 48) befreundet: «In den Wochen nach der Tat sah ich den Mann regelmässig, wie er mit seinen Hunden vor dem Haus vorbeilief», sagt sie. «Ich kann nicht fassen, dass er das getan hat!» Auch in den letzten Wochen habe sie ihn oft, beinahe täglich, am Tatort gesehen. «Mein Hund bellte jedes Mal, wenn er mit seinen Huskys an uns vorbeikam.»
Nachbarn berichten, dass N. bei seinen Spaziergängen in den letzten Jahren regelmässig den späteren Opfern begegnet sei, vor allem den Söhnen von Carla Schauer, Davin († 13) und Dion († 19). Die beiden spielten oft Fussball auf der Strasse. «Sie kannten sich vom Sehen», sagt eine Frau. Sie hat Tränen in den Augen. Am Samstag patrouillieren Polizisten um das Haus von N. Sie sprechen Passanten an und wollen wissen, wer sich durchs Quartier bewegt. Vor dem Haus, in dem Thomas N. lebte, steht den ganzen Tag über ein Polizeiwagen. Am Nachmittag wird er durch ein Zivilfahrzeug ersetzt. Wer sich dem Haus nähert, wird von Beamten angesprochen.
Am Donnerstagabend wurde kurzzeitig auch der beste Freund von Thomas N. verhaftet. Er ist mittlerweile auf freiem Fuss. Auch er ist begeisterter Fussballer. Was wollte die Polizei von ihm wissen? «Wir geben dazu keine Auskunft», sagt sein Bruder nur.
Auch die Mutter von Thomas N. führte die Polizei am Donnerstag in Handschellen ab. Gegen sie besteht allerdings kein Verdacht, wie die Staatsanwaltschaft gestern bestätigte. «Die Mutter wurde zur Eigensicherung und Klärung der Situation ganz am Anfang in Handschellen gelegt», sagt Fiona Strebel von der Aargauer Staatsanwaltschaft. Das sei in solchen Situationen ein übliches Vorgehen der Polizei.
Die Eingangstür am Distelweg 5 in Rupperswil war gestern noch immer von der Polizei versiegelt. Wann und ob die Mutter von N. in ihr Haus zurückkehren wird, ist ungewiss.
Thomas N., die Bestie von nebenan, hat nicht nur vier Menschenleben ausgelöscht. Er hat auch das Leben seiner Mutter zerstört.