Flammen-Inferno Solothurn
Warum mussten hier sieben Menschen sterben?

Der Brand von Solothurn forderte sieben Todesopfer. Bewohner und Betreuer schildern nun den schlechten Zustand des Hauses. Ein Problem war das Treppenhaus.
Publiziert: 02.12.2018 um 02:47 Uhr
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Aktualisiert: 29.01.2019 um 19:16 Uhr
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Das Haus in Solothurn, das am Montag brannte, war in schlechtem Zustand, wie Bewohner jetzt sagen.
Foto: Kapo Solothurn
Cyrill Pinto und Rebecca Wyss

Sieben Menschen starben in der Nacht auf Montag beim Brand in der Solothurner Wengistrasse, darunter eine ganze Familie aus Eritrea. Drei der Toten sind Kinder, zwei überlebten nur, weil ihre Mutter sie im vierten Stock aus dem Fenster warf – bevor sie selbst erstickte.

Nachbar Abdul Karem (21) fing eines der beiden auf. Drei Tage lang kämpfte es im Spital ums Überleben. Am Donnerstag rief die Polizei bei Karem an: «Sie bedankten sich und sagten, dass das Kind überleben wird.» Der junge Mann steht immer noch unter Schock. «Die Bilder der Brandnacht gehen mir nicht mehr aus dem Kopf.»

Wie aber kam es in dem Altbau überhaupt zu dieser hohen Zahl von Opfern? Offenbar verhinderte das Treppenhaus ihre Flucht: Kein Fenster oder ein leistungsstarker Rauchabzug verhinderte, dass es sich in kurzer Zeit mit Rauch füllte, kein Rauchmelder schlug Alarm. Laut dem Brandschutzexperten Roland Hürzeler sind heute in geschlossenen Treppenhäusern automatische Rauchabzüge und dichte Türen üblich. «Nur bei Sanierungen müssen Liegenschaften aufgerüstet werden.»

Der Brandschutz entsprach nicht geltenden Standards

SonntagsBlick führte viele Gespräche mit Bewohnern und Flüchtlingsbetreuern. Ihre Schilderungen lassen nur einen Schluss zu: Das Haus war sanierungsbedürftig – der Brandschutz entsprach nicht geltenden Standards.

Haci Reman (19) aus dem Nordirak, der 2017 etwa sechs Monate lang in der Wengistrasse wohnte: «Im Haus war es gefährlich. Die Treppe war nicht stabil, der Handlauf wackelte. Teilweise waren die Tritte kaputt.» Auf seinem Stockwerk hatte es ausserdem kein Licht im Treppenhaus. «Nachts bin ich deswegen nicht mehr aus der Wohnung.» Nicht nur im Treppenhaus, auch in der Wohnung gab es nach Remans Schilderung diverse Mängel. Blätternder Verputz war der geringste.

Françoise Kopf von der Anlaufstelle für Asylsuchende IGA SOS Racisme kümmerte sich immer wieder um Flüchtlinge in der Wengistrasse, zuletzt um zwei Erwachsene und zwei Kinder im zweiten Stock. «Das Haus war in einem ganz schlechten Zustand», berichtet sie. «Eine Bewohnerin hat mich mal gefragt, was passiere, wenn es brenne.»

Haben die Behörden bei Jenny S. (†29) versagt?
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Sieben Tote nach Brand:Haben die Behörden bei Jenny S. (†29) versagt?

Die Eritreer wollten ausziehen

Kopf weiss: Die eritreische Familie, die bei dem Brand ums Leben kam, wollte ausziehen: «Weil sie so wenig Platz hatten und der Zustand der Wohnung nicht gut war.» Hinzu kam die hohe Belegung. Kopf weiss von einer achtköpfigen Familie aus Afghanistan, die 2016 in einer 2,5-Zimmer-Wohnung untergebracht war. «Für sie gab es nur vier Stühle und zu wenig Geschirr.»

In einer Stellungnahme hält das kantonale Amt für soziale Sicherheit fest, man habe vier Wohnungen angemietet, um das Durchgangszentrum Oberbuchsiten zu entlasten, bestreitet aber, dass jemals eine achtköpfige Familie hier gewohnt habe. «Ausnahmsweise und nur vorübergehend» seien Familien mit vier Kindern in der Wengistrasse einquartiert worden. Die habe man mindestens einmal pro Woche besucht. «Probleme mit der Infrastruktur und Instandstellungsbedarf seien dabei Thema gewesen; die nötigen Massnahmen wurden immer angegangen.»

Die Liegenschaft an der Wengistrasse 40 gehört laut Grundbuch einer Ormos AG, die laut Handelsregister inzwischen Sofida AG heisst. Einziger Verwaltungsrat des Unternehmens ist der langjährige FDP-Amtsrichter und Treuhänder Dietmar R.*. Trotz mehrmaliger Nachfrage wollte er sich nicht zu etwaigen Mängeln im Gebäude äussern. An seiner Stelle antwortete eine Angestellte. Sie hielt schriftlich fest: «Laut der Feuerwehr Solothurn war das Haus nicht in einem schlechten Zustand. Es waren normale Altstadtwohnungen.» Die Staatsanwaltschaft fokussiert ihre Ermittlungen auf eine 25-Jährige, die durch eine brennende Zigarette den Brand verursacht hat. «Wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung, mehrfacher fahrlässiger Körperverletzung und wegen fahrlässiger Verursachung einer Feuersbrunst», wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf Anfrage sagt.

*Name der Redaktion bekannt

Ein Armutszeugnis

Es ist unvorstellbar: in einem Land wie der Schweiz. Einem der reichsten der Welt.
In dem jedes Detail penibel geregelt ist. Hier ist es offenbar möglich, Menschen in Häusern unterzubringen, die Mängel aufweisen. Zum Beispiel in Solothurn, wo ein Brand sieben Todesopfer forderte.
Bei meiner Arbeit besuche ich immer wieder Flüchtlingsfamilien in ihren Unterkünften. So auch eine Familie aus Nordsyrien, die 2016 einer Zürcher Landgemeinde zugewiesen worden war.
Sie wohnte in einer grossen Baubaracke die eigentlich als Geräteschuppen gedacht war, auf dem Werkhofareal der Gemeinde. Es war Winter. Die Familie klagte über Kälte und Feuchtigkeit in der Unterkunft. Die Kinder husteten. Sie litten an einer hartnäckigen Bronchitis.
Wenn ich dann mit Verantwortlichen über solche Zustände sprach, berichteten sie jeweils davon, wie schwierig es sei, Wohnungen für Flüchtlingsfamilien anzumieten.
Zum einen wegen der verbreiteten Fremdenfeindlichkeit, zum andern, weil die Gemeinden nicht zu viel Geld ausgeben wollten.
Aber sollte es in einem reichen, wohlorganisierten Land wie der Schweiz nicht möglich sein, auch Flüchtlinge in anständigen Wohnungen unterzubringen?
Alles andere wäre ein Armutszeugnis!

Cyrill Pinto, Reporter
Getty Images

Es ist unvorstellbar: in einem Land wie der Schweiz. Einem der reichsten der Welt.
In dem jedes Detail penibel geregelt ist. Hier ist es offenbar möglich, Menschen in Häusern unterzubringen, die Mängel aufweisen. Zum Beispiel in Solothurn, wo ein Brand sieben Todesopfer forderte.
Bei meiner Arbeit besuche ich immer wieder Flüchtlingsfamilien in ihren Unterkünften. So auch eine Familie aus Nordsyrien, die 2016 einer Zürcher Landgemeinde zugewiesen worden war.
Sie wohnte in einer grossen Baubaracke die eigentlich als Geräteschuppen gedacht war, auf dem Werkhofareal der Gemeinde. Es war Winter. Die Familie klagte über Kälte und Feuchtigkeit in der Unterkunft. Die Kinder husteten. Sie litten an einer hartnäckigen Bronchitis.
Wenn ich dann mit Verantwortlichen über solche Zustände sprach, berichteten sie jeweils davon, wie schwierig es sei, Wohnungen für Flüchtlingsfamilien anzumieten.
Zum einen wegen der verbreiteten Fremdenfeindlichkeit, zum andern, weil die Gemeinden nicht zu viel Geld ausgeben wollten.
Aber sollte es in einem reichen, wohlorganisierten Land wie der Schweiz nicht möglich sein, auch Flüchtlinge in anständigen Wohnungen unterzubringen?
Alles andere wäre ein Armutszeugnis!

Kantone lockerten Brandschutz bei Flüchtlingsunterkünften

Die Brandnacht von Solothurn forderte sieben Tote, unter ihnen auch Asylsuchende. Für diese gelten schweizweit weniger strikte Brandschutzvorschriften als für normale Bürger, wie die «SonntagsZeitung» berichtet. Sie stützt sich auf einen Beschluss vom Dezember 2015.

Damals suchten die Kantone auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle verzweifelt nach Unterkünften, scheiterten aber oft an den hohen Auflagen. Also passte das zuständige Interkantonale Organ Technische Handelshemmnisse (IOTH) die Brandschutzvorschriften an.

«Personenschutz nicht mehr im gleichen Umfang gewährleistet»

In Zivilschutzanlagen mit einem Ausgang erhöhte das Gremium die maximale Belegung von 50 auf 150 Personen, bei zwei Türen von 100 auf 250. Und dehnte die zulässige Länge von Fluchtwegen von 35 auf 50 Meter aus. Im entsprechenden Entscheid heisst es laut «SonntagsZeitung»: «Das IOTH nimmt zur Kenntnis, dass mit diesen Abweichungen das in den Brandschutzvorschriften anvisierte Schutzziel im Personenschutz nicht mehr im gleichen Umfang gewährleistet ist.»

Generalsekretärin Christa Hostettler sagt: «Auslöser war eine Krisensituation. Damals  ging es nicht darum, wie man die Asylsuchenden unterbringt. Sondern dass man sie überhaupt platzieren kann.» Die Änderungen waren auf zwei Jahre befristet, wurden aber 2017 verlängert. Zu einem Zeitpunkt, als die Zahl der Asylsuchenden deutlich gesunken war.

Es gehe um Personen, die Schutz brauchen, kritisiert Dominic Pugatsch von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. «Stattdessen setzt man sie einer erhöhten Gefahr aus. Das ist für uns nicht nachvollziehbar.»

Wie viele Flüchtlinge in Unterkünften mit angepasstem Brandschutz leben, ist nicht erfasst. Im konkreten Fall in Solothurn traf dies nicht zu, da sich nur rund 20 Personen im Haus aufhielten. (red)

Die Brandnacht von Solothurn forderte sieben Tote, unter ihnen auch Asylsuchende. Für diese gelten schweizweit weniger strikte Brandschutzvorschriften als für normale Bürger, wie die «SonntagsZeitung» berichtet. Sie stützt sich auf einen Beschluss vom Dezember 2015.

Damals suchten die Kantone auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle verzweifelt nach Unterkünften, scheiterten aber oft an den hohen Auflagen. Also passte das zuständige Interkantonale Organ Technische Handelshemmnisse (IOTH) die Brandschutzvorschriften an.

«Personenschutz nicht mehr im gleichen Umfang gewährleistet»

In Zivilschutzanlagen mit einem Ausgang erhöhte das Gremium die maximale Belegung von 50 auf 150 Personen, bei zwei Türen von 100 auf 250. Und dehnte die zulässige Länge von Fluchtwegen von 35 auf 50 Meter aus. Im entsprechenden Entscheid heisst es laut «SonntagsZeitung»: «Das IOTH nimmt zur Kenntnis, dass mit diesen Abweichungen das in den Brandschutzvorschriften anvisierte Schutzziel im Personenschutz nicht mehr im gleichen Umfang gewährleistet ist.»

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